Peeling und Poker (Aargauer Kriminalromane) (German Edition)
Trennung zu tun.“
„Ich erinnere mich sehr genau, wie schwierig diese Zeit für ihn war, so ganz ohne seine geliebte Maggie. Und ich erinnere mich auch und vor allem an sein glückliches Strahlen, als er endlich ins Flugzeug steigen und zu dir und eurer Tochter reisen durfte.“
Maggie liess ihren Tränen freien Lauf. Das war einer der vielen wunderbaren Momente in ihrer Ehe gewesen, als sie einander nach der langen Trennung wieder in die Arme schliessen konnten: sie hielten sich minutenlang fest, weinten, lachten, küssten sich. Erst dann begrüsste Tom seine neugeborene Tochter, die in einem alten Stubenwagen schlief, und verliebte sich sofort in sie. Ihr Glück war doppelt so gross geworden durch die kleine Selma, und die drei wurden unzertrennlich, genügten sich selbst in ihrer kleinen Familie. Und wie würde es jetzt weitergehen?
Sie stand auf. „Kann ich eine deiner Schlafpillen haben, Andrew? Ich muss einfach für ein paar Stunden bewusstlos sein und alles vergessen, sonst halte ich das nicht aus. Wenn wir ihn wenigstens beerdigen und von ihm Abschied nehmen könnten.“
„Nimm nur eine halbe Tablette, Maggie, zusammen mit dem Whisky reicht das für dich völlig aus, sonst schläfst du morgen den ganzen Tag. Ich wünsche dir eine gute Nacht.“
Als sie gegangen war, schenkte sich Andrew noch einen Mortlach ein. Er starrte in die Nacht hinaus und dachte über die Zeit nach, die er und Tom in Las Vegas miteinander verbracht hatten, als Maggie in der Schweiz war.
März 2001
Die Personalpolitik des Golden Dune Hotel & Casino in Las Vegas verlangte von allen Kadermitarbeitern mindestens vier Schichten pro Monat an der Front, egal aus welcher Ecke der Organisation sie kamen. Blackjack statt Controlling, Roulette statt Bilanzen: Tom Truninger liebte es, die Genauigkeit des Finanzmenschen gegen die Präzision eines Croupiers einzutauschen und die Menschen zu beobachten, die mit ihrer Leidenschaft für die Einnahmen seines Arbeitgebers sorgten.
An diesem Abend war er ruhig und gelassen, seine Hände waren geschickt und arbeiteten fehlerlos. „Wie ein Fisch im Wasser – ob ich wohl den Beruf verfehlt habe?“ dachte er und wusste, dass es die Kombination der unterschiedlichen Tätigkeiten war, die ihm eine so tiefe Befriedigung verschaffte. Die Zeit verflog, und als er abgelöst wurde, blieb er noch einen Moment am Tisch stehen. Erst als er seinen Blick schweifen liess, wurde ihm bewusst, dass die gepflegte Frau mit der blonden Lockenmähne schon eine Weile Blackjack spielte. Plötzlich schaute sie Truninger direkt in die Augen, zwinkerte ihm zu und stand auf.
„Let’s go and try something else“, sagte sie zu ihrem eleganten Begleiter, „I need to see the ball rolling.“
„Haven’t you had enough for tonight, Vicky?“
„How can you say that? I’m just getting started!“ rief sie und zog ihn Richtung Roulette davon.
Attraktiv, Mitte dreissig, sprühend vor Energie – und sie hat mit mir geflirtet, dachte Truninger und spürte die Versuchung. Vergiss es, sagte er sich, du bist verheiratet und im Dienst, sie ist Kundin, und sie hat einen Mann dabei. Vermutlich Touristin. Ein leichter Akzent in ihrem Englisch liess ihn glauben, dass sie auf der Durchreise war, wie die meisten Kunden hier. Er ging zurück in sein Büro und tauschte seinen schwarzen Tux gegen einen dunkelgrauen Anzug mit einer dezenten Krawatte.
Auf dem Weg nach Hause ging er bei den Roulettetischen vorbei: da sass sie, und diesmal sah er ihn einmal kurz aufblitzen, den flackernden Spielerblick. Mist, dachte er, auch das noch. Nun schaute er genauer hin und beobachtete, wie fahrig sie ihre letzten Chips einsetzte, verlor, von ihrem Begleiter noch eine Handvoll zugesteckt bekam. „Nachher ist Schluss, Vicky“, hörte er den gross gewachsenen Mann sagen und sah, wie er sich ein paar Schritte von ihr entfernte. Sie nickte, obwohl ihr Blick bereits wieder dem Spiel zugewandt war. „Faites vos jeux“, sie setzte alles auf die rote Acht, gewann, setzte wieder alles ein, gewann nochmals. Ein paar Tausend Dollar lagen jetzt vor ihr, aber gehen wollte sie offensichtlich nicht. Sie gewann, verlor, gewann wieder, und die Sucht stand ihr ins Gesicht geschrieben. Casinoprofi Truninger kannte das Verhalten aus Erfahrung, und er wusste, was zu tun war. Er ging auf ihren Begleiter zu, identifizierte sich und fragte ihn, ob er die Frau kenne.
„Eine gute Freundin“, sagte der Mann in breitem Amerikanisch, „und wie Sie sehen
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