Peeling und Poker (Aargauer Kriminalromane) (German Edition)
altmodischen Loge am Empfang der psychiatrischen Klinik sagte ins Telefon: „Herr Doktor Müller, hier sind zwei Herren von der Polizei. Gut, danke.“ Er wandte sich an die beiden und bat sie, sich einen Moment zu gedulden, Doktor Müller komme gleich.
Peter Pfister fühlte sich sichtlich unwohl in dem alten Gebäude, dessen imposante Architektur den typischen Institutionscharakter aufwies: eine grosse Eingangshalle mit breiten Steintreppen, Holztäfer bis auf Kopfhöhe, lange Gänge mit geschlossenen Türen – und dann dieser Geruch, eine Mischung aus Medikamenten, kalten Kochdünsten und Bohnerwachs. „Mir wird gleich schlecht“, flüsterte Pfister, „ich hoffe, das Büro von Doktor Müller ist besser gelüftet.“
Baumgarten lächelte. „Sei nicht so empfindlich, Peter. Je nach Kantinenmenü riecht es bei uns in der Zentrale auch nicht anders. Ich kann natürlich das Interview allein machen, wenn du es nicht aushältst.“ Er wusste genau, dass Pfister damit niemals einverstanden wäre, zu gross war seine Neugier.
Ein grosser, fast hagerer Mann kam auf sie zu – Typ Langstreckenläufer, dachte Nick und zog automatisch seinen Bauch ein, bei diesem Beruf brauchte man wohl einen Ausgleich.
„Guten Tag, ich bin Stephan Müller.“ Nick Baumgarten nahm die ausgestreckte Hand und stellte sich und den Kollegen Pfister vor.
„Ich schlage vor, wir gehen in ein Sitzungszimmer im ersten Stock, dort sind wir ungestört. Darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten? Er kommt aus einer italienischen Espressomaschine, nicht aus der Thermoskanne.“
Er hatte den skeptischen Blick von Pfister sofort richtig interpretiert und nahm ihm den Wind aus den Segeln. „Sie sind zum ersten Mal in einer psychiatrischen Klinik? Ich zeige Ihnen gerne, wie wir heutzutage arbeiten, falls Sie interessiert sind.“
„Vielleicht“, sagt Pfister unsicher, „aber zuerst möchten wir Ihnen ein paar wichtige Fragen stellen.“ Er fühlte sich ertappt, der Typ hat mich durchschaut und macht sich lustig, dachte er.
Doktor Müller führte sie in ein helles, modern eingerichtetes Sitzungszimmer. „Machen Sie es sich bequem, ich hole den Kaffee. Bin gleich wieder da.“
„Hat er denn keine Sekretärin, die für ihn Kaffee kocht?“ flüsterte Pfister. „Offensichtlich ist er nicht wichtig genug.“
Nick Baumgarten enthielt sich einer Antwort, gewisse Dinge wollten seinem Mitarbeiter nicht in den Kopf. Pfister war der Ansicht, dass es immer und überall klare hierarchische Verhältnisse mit entsprechenden Pflichtenheften geben musste; das Servieren von Kaffee gehörte für einen Oberarzt nicht zur Stellenbeschreibung.
Doktor Müller bediente seine Gäste, dann öffnete er die Unterlagen, die er mitgebracht hatte. „Sie möchten etwas wissen über Sybille Senn, nicht wahr. Ich habe gestern mit der behandelnden Ärztin Doktor Fischer telefoniert, und sie war ebenso schockiert und überrascht vom Suizid wie wir alle. Wenn es irgendeinen Zweifel daran gegeben hätte, dass die Patientin diesen Schub ihrer Krankheit praktisch überwunden hatte, wäre sie niemals in die offene Abteilung transferiert worden. Sie hätte in ein paar Tagen in die Obhut ihres Hausarztes und des ambulanten psychiatrischen Dienstes entlassen werden sollen.“ Doktor Müller lehnte sich zurück und schaute Nick mit durchdringendem Blick an. „Ich glaube allerdings nicht, dass Sie beide ausschliesslich wegen des Suizids von Frau Senn zu uns gekommen sind.“
Nick Baumgarten räusperte sich. „Da haben Sie völlig Recht, Herr Doktor Müller. Es handelt sich um eine ziemlich delikate Angelegenheit, und wir haben weder Fakten noch Beweise, nur eine Hypothese. Es geht uns darum, Ihre professionelle Meinung dazu zu erfahren. Könnte es sein, dass Frau Senn zuerst den Direktor des Grand Casinos und dann sich selbst umgebracht hat? Ihre Entlassung vor einem Jahr war ein Motiv, und sie wurde am Tag des Mordes in der Nähe des Tatorts gesehen.“
Stephan Müller schloss die Augen und sagte nichts. Nick legte Pfister die Hand auf den Arm und bedeutete ihm zu schweigen. Eine lange Minute verstrich, bevor Doktor Müller die stahlblauen Augen wieder öffnete. Seine Stimme war jetzt härter, seine Worte wägte er sorgfältig ab.
„Ganz ausschliessen kann man in unserem Beruf nichts, meine Herren. Wir erleben hin und wieder Überraschungen, positive wie negative, und wir lernen damit zu leben. Nichts ist selbstverständlich, unsere Urteilsfähigkeit wird immer wieder in Frage
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