Peetz, Monika
Bilanz aus?
Kritisch begutachtete sie ihre Figur. Vermutlich würde sie noch problemlos in
ihr Hochzeitskleid passen, registrierte sie befriedigt. Der Anwaltskollege
hatte ganz und gar unrecht. Sie war mit ihrem Leben zufrieden. Zwei
wohlgeratene Kinder, die selbstbewusst ihrer eigenen Wege gingen, Anerkennung
im Beruf, ein liebevoller Mann, der ihre Karriere ebenso ernst nahm wie die eigene.
Und das Wichtigste: Sie hatten noch Sex. Sogar miteinander. Ein bisschen mehr
Zeit füreinander, und das Leben war perfekt.
8
Mehr Zeit!
Sehnsüchtig wünschte sich Eva ein, zwei Stunden mehr. Die Dienstagsfrauen
hatten verabredet, gemeinsam zum Flughafen zu fahren. Caroline spielte den
Chauffeur und holte jede einzeln ab. Eva war die Erste auf ihrer Route.
Der
gepackte Rucksack stand schon in der Diele. Doch Eva hastete noch durch ihre
perfekt ausgestattete, geräumige Wohnküche und verklebte die letzten Post-its:
Töpfe, Teller, Tassen, Vorräte: Alles war für die Familie ausgeschildert, die
von Tuten, Blasen und Kochen keine Ahnung hatte.
Vom Tisch
aus sahen drei halbwüchsige Teenager Evas aufgeregtem Treiben gelangweilt zu.
Daneben Frido senior. Den Senior hatte er sich vor ein paar Jahren selbst
eingebrockt. Nachdem Eva bei David und Lene die Namensgebung übernommen hatte,
bestand Frido beim dritten Kind darauf, an der Reihe zu sein. Es wurde Frido
junior. Beim Standesamt fiel ihm auf die Schnelle nichts Besseres ein. Es war
sein letzter Versuch, Evas Tüchtigkeit und vorausschauendem familiären Planen
etwas entgegenzusetzen. Als 20 Monate später die kleine Anna die Familie
komplettierte, hatte sich die Rollenverteilung verfestigt. Eva hatte das
Ressort Familie und Soziales unter sich, er fungierte als Superminister für
Arbeit, Finanzen und Wirtschaft.
Mit
dreiundvierzig war Frido Mitglied der Geschäftsleitung einer Versicherung,
stolzer Besitzer eines familienfreundlichen Eigenheims mit großzügigem Garten
und komplett ahnungslos, was die täglichen Abläufe in seiner eigenen Familie
anging. Aufmerksam blätterte er durch die seitenlangen handgeschriebenen
Anweisungen, die Eva ihm in die Hand gedrückt hatte. »Montag hat David Tennis
und Frido Ministrantendienst?«
Eva nickte
nervös. Bloß keine Zweifel aufkommen lassen, beschwor sie sich selbst. Zehn
Wandertage hatten sie eingeplant. Dazu An- und Abreise. So lange waren die
Dienstagsfrauen noch nie weggefahren.
»Schwierig
wird nur der Freitag mit Lenes Elternsprechtag und vielleicht der Mittwoch.«
»Mittwoch?
Das geht auf keinen Fall. Da habe ich Vorstandssitzung.«
Vorstandssitzung
war bei Frido eine Art chronischer Zustand. Elternsprechtag, Kinderfahrdienste,
Dekorieren im Tennisclub, gebrochene Arme, Beine, Kinderherzen: Seit Jahren
hatte Frido grundsätzlich Vorstandssitzung, wenn es darum ging, familiäre
Pflichten zu übernehmen. Dabei war er nicht einmal unwillig. Er war einfach nur
beschäftigt. »Nimm dir eine Hilfe, Eva«, predigte Frido unablässig. Aber Eva
hatte keine vier Kinder bekommen, nur um sie an ein rumänisches Au-Pair
abzuschieben.
»Das nennt
man Arbeitsteilung«, verteidigte Eva sich eilig, wenn die Freundinnen mal
wieder die Augenbrauen hochzogen.
»Das nennt
man Sklaverei«, kommentierte Estelle trocken. Die verwöhnte Freundin war das
klassische Beispiel der Frau, die immer zu viel in den Koffer einpackte und das
Tragen anderen überließ. Estelle arbeitete nicht. Estelle delegierte. Ihre
Aufgaben in der angeheirateten Apothekenkette, ihren Haushalt, ihr Leben. Bis
hin zum Vibrator in der Schublade ihres Nachttischs, der ihren Mann an
Ausdauer deutlich übertraf, wie Estelle gerne erwähnte.
Eva hätte
sich ein Beispiel an Estelle nehmen können. Aber so war Eva nicht. Sie
probierte im Gegenteil, ihr brodelndes Schuldgefühl mit Aktionismus zu
übertünchen.
»Essen
habe ich fertig. Thailändische Fischsuppe, Schweinebraten, Nudeln mit drei
Füllungen, vegetarisch für Lukas, Käse für Lene, Hackfleisch für alle anderen.«
Sie
öffnete die Kühlfächer, in der ein Heer von sorgfältig beschrifteten
Tupperdosen des Einsatzes harrte. Frido betrachtete seine Tiefkühleinheit, als
wäre sie mindestens das achte Weltwunder: staunend und ohne jedes Verständnis für
die fremde Kultur. Keiner kam auf die Idee, dass Eva ein Kompliment für ihren
familiären Dauereinsatz verdiente. Nicht einmal Eva selbst.
»Bist du
dir sicher, dass du dir das antun willst?«, insistierte Frido.
»Nein, bin
ich nicht«, hätte
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