Peetz, Monika
Bemühungen bewundern.
Surrend öffnete sich das enorme Schiebetor, das Estelles Villa vor unliebsamen
Blicken und eifrigen Zeugen Jehovas schützte. Automatisch flammte Flutlicht
auf. Estelle hatte schon immer ein Gefühl für den großen Auftritt. Aber diesmal
verschlug es Caroline und Eva, die Estelle abholten, den Atem.
»Wichtig
ist, den Look durch überraschende Details aufzuwerten«, hatte der Pi-Ess
empfohlen. Seine persönliche Handschrift fand sich in jedem Einzelstück wieder:
figurbetonte Cargohose (auf die Jakobsmuschel aus Swarovskikristallen, die auf
dem wohlgeformten Po prangte, war der Pi-Ess besonders stolz), Windjacke mit
einem guten Dutzend multifunktionaler Taschen und Pelzbesatz, für den Rücken
einen eleganten, goldenen Burberry-Rucksack. Dazu trug Estelle Pudel. Im Arm.
Ihr Schoßhündchen nämlich.
»Nichts
sagen«, rief Estelle. »Wie eine Mischung aus Robin Hood und Simba der Löwe.«
Caroline
prustete los. Das liebte sie an der Freundin. Estelle konnte herzhaft über sich
selbst lachen. Noch lieber allerdings lachte sie über andere. Estelles spitze
Zunge garantierte gute Unterhaltung für lange Pilgertage. Vorausgesetzt die
Freundin konnte sich von ihrem Pudel losreißen, den sie mit Küssen überschüttete.
Der
Abschied von ihrem kugelrunden und glatzköpfigen Mann, der Estelles Reisegepäck
im Kofferraum verstaute, fiel bedeutend kühler aus. Ein gehauchter Kuss. Doch
der Apothekenkönig, sicher einen Kopf kleiner als Estelle, zog seine Frau zu sich
heran und küsste sie mit einer Leidenschaft, die Caroline und Eva die Schamröte
ins Gesicht trieb.
»Und ich
dachte immer, es geht Estelle um die fünf Apotheken«, murmelte Caroline.
»Und das
nach so langer Ehe«, seufzte Eva.
Je
intensiver die Küsse wurden, umso mehr wuchs bei den beiden die Erkenntnis,
dass die Geschichte mit dem Vibrator übertrieben war. Aber das war alles, was
Estelle tat und sagte.
»Man muss
übertreiben, um verstanden zu werden«, betonte Estelle immer und behauptete
steif und fest, dass das Zitat von Mao stammte. Judith solle nicht meinen, sie
sei die Einzige, die sich in fernöstlichem Gedankengut auskannte.
Wer weiß,
zu welchen Intimitäten Estelle und ihr Apothekenkönig sich hätten hinreißen
lassen, wäre da nicht das Fahrrad gewesen, das die beiden fast umgefahren
hätte. Kiki, die eigentlich als Letzte auf der Abholliste stand, war angekommen.
»Ist doch
einfacher, wenn du nicht bei mir vorbeifahren musst«, entschuldigte sie sich in
Richtung Caroline.
Wie immer
wirkte sie leicht verweht. Über ihren Wanderhosen trug sie ein kurzes
Kleidchen und einen bunten Rucksack. Obwohl sie Mitte dreißig war, wirkte sie
wie ein Mädchen. Im Fahrradkorb lagen einzelne Sachen, die es noch im Rucksack
zu verstauen galt.
»Ich muss
unterwegs was fertig machen«, verteidigte sie sich, bevor jemand auf die Idee
kommen konnte, unangenehme Fragen zu stellen. »Im Studio war es in letzter
Zeit ein bisschen ...«
Krampfhaft
suchte Kiki nach der passenden Umschreibung für das, was ihr bei der Arbeit im
Studio widerfahren war. Und entschied, dass es nicht der rechte Moment war, die
Freundinnen in ihr Geheimnis einzuweihen. »Es war ein bisschen hektisch«,
vollendete sie ihren Satz.
Caroline
sah kopfschüttelnd, was da alles in den Rucksack wanderte. Kamera, Papier,
Stifte, das Skizzenbuch, Tesafilm, eine Schere. »Du siehst aus, als wärst du
auf der Flucht.«
»Soll das
ein Verhör werden?«, fuhr Kiki Caroline an.
Caroline
und Eva sahen sich betroffen an. Es musste einen wichtigen Grund geben, dass
Kiki ihr Fahrrad, das sie jeden Tag brauchte, bei Estelle zurückließ. Die
Freundin benahm sich ausgesprochen merkwürdig. Warum reagierte Kiki so
aggressiv?
»Sie ist
in einem schwierigen Alter«, meinte Estelle. »Aber wer ist das nicht.«
Zum ersten
Mal kroch ein leiser Zweifel in Caroline hoch: Vielleicht wäre es besser, sie
bliebe dieses Jahr zu Hause. Ihr Leben lang hatte Caroline Leute um einen guten
Abgang beneidet. Aber so etwas bekam sie nicht hin. Caroline war pünktlich und
blieb bis zum bitteren Ende. Und das sollte kommen.
Gemeinsam
machten sie sich auf den Weg zu Judith, die kurzfristig beschlossen hatte, vor
der Abfahrt noch einmal auf den Friedhof zu gehen. Nun stand sie vor dem
liebevoll geschmückten Grab von Arne und hatte Mühe, sich loszureißen. In dem
übergroßen karierten Flanellhemd von Arne, das sie übergezogen hatte, wirkte
sie verloren.
»Ich weiß
nicht, ob ich so
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