Peetz, Monika
eine Pilgerreise schaffe«, vertraute sie sich Caroline an,
die es übernommen hatte, Judith loszueisen.
»Du wirst
mich nicht mit den Mädels alleine lassen. Das kannst du mir nicht antun«,
entgegnete Caroline.
Judith
hatte ihre Zweifel: »Traust du mir das zu? Pilgern? All die Kilometer? Zu Fuß?«
Caroline
nahm eine Kerze von Arnes Grab und drückte sie Judith in die Hand.
»Die
bringen wir für Arne nach Lourdes. Das ist fast so, als wäre er selbst
gepilgert.«
Caroline
schulterte Judiths Rucksack, legte den Arm um Judith und geleitete sie zum
Ausgang des Friedhofs, wo die drei Freundinnen warteten.
Es gab
Momente im Leben, da passte alles zusammen und fügte sich zu einem großen
sinnvollen Ganzen. Das war keiner dieser Momente. Während die fünf Frauen sich
im Flugzeug häuslich einrichteten, tickte Arnes Bombe bereits. Der
Zündmechanismus war ausgelöst. Es hatte kleine Anzeichen gegeben,
Vorwarnungen. Sie hatten jede einzelne übersehen. Stattdessen prosteten sie
einander mit dem Billigsekt der Airline zu.
»Auf die
Pilgerfahrt der Dienstagsfrauen!«
»Auf
Lourdes und die heilige Maria!«
10
»Auf
Mama!«
Als das
Flugzeug sich der französischen Mittelmeerküste näherte, saßen Frido und seine
jüngste Tochter Anna in der nächtlichen Küche und ließen ihre Becher Kakao
gegeneinanderklacken. Auf Seite acht von Evas Aufzeichnungen stand, dass Kakao
bei kindlicher Schlaflosigkeit half.
Schon beim
ersten Schluck schüttelte es Anna. »Ich glaube, Mama macht Kakao mit Milch.«
Frido
nickte ernst. Er leitete eine Abteilung mit hundertzweiunddreißig Mitarbeitern,
aber mit der Zubereitung von Kakao war er offensichtlich überfordert. Es hatte
ihn bereits Mühe gekostet, den Gasherd überhaupt anzubekommen.
»Wenigstens
ist er heiß«, meinte Frido, der mit gutem Vorbild voranging und das
grauenhafte Gebräu tapfer runterstürzte.
Anna kniff
die Augen zu und tat es ihm nach.
Von oben
jauchzte Super Mario in einer Lautstärke, die nur Teenager als
sozialverträglich empfanden. Die drei Großen hatten sich offenbar in Davids
Zimmer versammelt und fuhren Autorennen auf der Wii. Dabei hatte Frido sie
schon vor Stunden ins Bett geschickt.
»Ich kann
nicht schlafen, wenn Mama mir keinen Gutenachtkuss gibt«, meinte Anna traurig.
Am
liebsten hätte Frido »Ich auch nicht« entgegnet. Aber damit konnte er seine
Tochter wohl kaum trösten. »Sollen wir schauen, wo Mama sich rumtreibt?«
Endlich
erschien ein Lächeln auf dem Kindergesicht.
Gemeinsam
markierten Anna und Frido auf dem Laptop den Weg, den die fünf Frauen sich
vorgenommen hatten. Le Chemin du Piemont Pyreneen.
»Von Köln
sind sie nach Montpellier geflogen. Dort übernachten sie. Morgen früh nehmen
sie den Bus bis hierhin.«
Beherzt
setzte Frido ein Kreuz an den Anfangspunkt. Er hatte eine Landkarte auf die
Homepage von Anna kopiert. Nun konnte sie jeden Tag die Fortschritte der
Dienstagsfrauen einzeichnen. Anna sah ratlos zwischen Computerschirm und Vater
hin und her.
Das Kreuz
befand sich im Niemandsland.
»Da ist
nichts!«
»Doch,
Anna, da muss etwas sein.«
Das hoffte
er inständig. Und wenn es nur eine Mobilfunkantenne war. Frido hatte das
unangenehme Gefühl, dass die Zubereitung von Kakao nicht das einzige Hindernis
bleiben würde, das ihn in den nächsten Tagen erwartete.
11
So hatten
sie sich das nicht vorgestellt. Ein paar nackte Felsen, die zum Massif de la
Clape gehörten, eine einsame Straße, eine verlassene Busstation. Fünf
entgeisterte Gesichter blickten in den französischen Morgen. Die
Dienstagsfrauen hatten den Ausgangspunkt ihres Pilgerwegs erreicht. Judith
hatte darauf bestanden, in der Nähe von Narbonne Plage zu starten. Dort, wo
Arne seine letzte Pilgeretappe begonnen hatte. In den ersten Tagen hatte er
noch besonders viel im Tagebuch notiert, und Judith hoffte, all die Details
wiederzufinden. Nach Tag drei würden sie ein paar Etappen mit öffentlichen
Verkehrsmitteln überbrücken, um die Strecke von St. Liziers bis Lourdes komplett
abzulaufen. Zehn Tage volles Programm: Über zweihundertfünfzig Kilometer Wegstrecke
zu Fuß hatten sie sich vorgenommen. Und jetzt waren sie am Anfang: fünf Frauen
aus der großen Stadt in the middle of nowhere.
Caroline
trug Hut, Kiki ein mädchenhaftes Kopftuch, Judith eine Leidensmiene, Eva den
gewohnt nachlässigen Pferdeschwanz und Estelle eine übergroße, mondäne Sonnenbrille.
Bis sie merkte, dass man damit nichts sah. Sie riss sich das
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