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Peetz, Monika

Peetz, Monika

Titel: Peetz, Monika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Dienstagsfrauen
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Blick, dem man nicht entkam. Der einen zum Reden zwang.
    »Mir geht
es gut ... wirklich ... Ich gehe viel mehr aus ... nur diese Woche bin ich
nicht dazu gekommen ... ich hab das Grab neu bepflanzt«, murmelte sie. Judith
konnte nicht verhindern, dass ihr Tränen in die Augen stiegen.
    »Kann ich
irgendwas für dich tun?«, erkundigte Caroline sich.
    »Nichts
mehr fragen, Caroline, bitte. Sonst muss ich wieder weinen, und ich will nicht
mehr weinen ...« Ihre Stimme brach.
     
    Seit sechs
Monaten sahen die Freundinnen zu, wie Judith sich quälte. Es war Zeit, etwas zu
unternehmen. Sie bemühten sich, sie aufzumuntern. »Kommen wir zum Thema. Wohin
sollen die Dienstagsfrauen in diesem Jahr fahren?«
    Luc
stupste seinen Sohn an: »Pass auf, was gleich passiert!«
    Tatsächlich:
Caroline hatte den Satz kaum ausgesprochen, als ein Tumult losbrach. Estelle
war die Erste, die ihre Wünsche anmeldete: »Ich will unter dem Sternenhimmel
schlafen. Es müssen gar nicht viele sein. Fünf Sterne beim Hotel, zwei beim
Restaurant.«
    Kiki fiel
ihr sofort ins Wort: »Ich brauche die Großstadt. Ich will ausgehen, feiern.
Einsam hab ich's schon zu Hause. Es kommt der Tag, da gratulieren mir nur noch
Tchibo und T-Mobile zum Geburtstag.«
    »Mir ist
alles recht«, warf Eva ein, »ich schließe mich an.«
     
    Luc
grinste: »Das geht jetzt mindestens eine Stunde so«. »Dann spricht Caroline ein
Machtwort, und wir servieren Champagner zur Versöhnung.«
    Caroline
versuchte, mit konkreten Vorschlägen Ordnung ins Geschehen zu bringen: »Ein
Klient hat mir neulich was von einem kleinen Gasthof in Österreich erzählt. Da
kann man prima wandern. Und der Tennisplatz ...«
    Die
anderen würden nie erfahren, was es mit dem Tennisplatz auf sich hatte, denn
Estelles Meinung stand bereits fest: »Gasthof? Das klingt schon wie
Doppelzimmer. Ich gehe in kein Doppelzimmer. Ich habe nicht mal zu Hause ein
Doppelzimmer.«
    »Ich komme
dieses Jahr nicht mit.« Das ganze Essen hatte Judith darüber nachgedacht, wie
sie es den Freundinnen beibringen sollte. Jetzt ging ihre leise Absage im
Stimmengewirr unter.
    »Der
Gasthof bietet zahllose Möglichkeiten. Wir müssen doch nicht jedes Mal...«
    »Ich komme
dieses Jahr nicht mit!«, wiederholte Judith so laut, dass alle erschraken.
Betretenes Schweigen in der Runde. Alle vier sahen fassungslos zu Judith.
    »Was hast
du gesagt?«, hakte Caroline nach.
    »Ich werde
nicht mitfahren.«
    Von allen
Seiten prasselten Kommentare auf Judith nieder. »Wieso?«
    »Warum?«
    »Gerade du solltest mal raus.«
    »Wie kommst du denn darauf?«
    »Natürlich kommst du mit.«
    Im
Restaurant hatten alle anderen Besucher längst aufgehört zu essen. Mit
unverhohlener Neugier sahen sie den Frauen bei ihrer aufgeregten Diskussion zu.
    »Ich habe
Arnes Tagebuch gefunden«, versuchte Judith ihren Schritt zu rechtfertigen. Die
Ratlosigkeit bei den Dienstagsfrauen war groß.
    »Was hat
das mit unserem Ausflug zu tun?«
    Stockend
erklärte Judith, was sie meinte: »Arne hat Tagebuch geführt. Nur wenn er
unterwegs war. Auf dem Jakobsweg. Er wollte doch nach Lourdes. Wegen dem
heilenden Wasser.«
    Ihre Augen
füllten sich mit Tränen. Sie wurde immer leiser. »Wenn er angekommen wäre ...
diese, diese weißen Seiten in Arnes Tagebuch, das ist das Schlimmste!«
    »Ich
verstehe nicht, was das mit unserer Reise zu tun hat«, sagte Caroline
kopfschüttelnd.
    Judith gab
ihrer Stimme mehr Nachdruck: »Ich habe keine Zeit, mit euch mitzukommen. Ich
werde Arnes Weg zu Ende führen.«
    Endlich
war es heraus. Judith war klar, was das für ihre eingeschworene Gemeinschaft
bedeutete. Noch nie war eine der Freundinnen aus der gemeinsamen Tradition ausgeschert.
Es würde das erste Mal in fünfzehn Jahren sein, dass sie bei ihrem jährlichen
Trip nicht komplett waren.
    Vorsichtshalber
zog Judith den Kopf ein. Sie erwartete, dass die Freundinnen ihr all das an den
Kopf werfen würden, was sie sich selbst bereits tausendmal vorgesagt hatte.
    »Sechs
Monate, Judith! Wird es nicht Zeit, dass du mal wieder am Leben teilnimmst?«
    »Du musst
langsam Abschied von Arne nehmen.«
    »Judith!
Nach vorne sehen! Nicht zurück.«
    »Haben Sie
es einmal mit Beichten probiert?«
    Das war
der Pfarrer von Arnes Beerdigung, der in ihrem Kopf dazwischenquasselte. Doch
wozu sollte Judith beichten? Wozu das Augenmerk auf die Dinge legen, die man
im Leben verkehrt gemacht hatte? Das hasste sie am Katholizismus. Man fühlte
sich dauernd schuldig. Für alles Mögliche.

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