Peetz, Monika
Funk ins Dorf.
Die
Auberge Sainte Marie lag an einem Platz mit einer kleinen Kirche, einer
Charcuterie und einem kleinen Tabac, wo man nicht nur Nachrichten aus der
großen weiten Welt erhielt, sondern auch den neusten Dorfklatsch. Und der
drehte sich heute um fünf Damen aus der großen weiten Welt, die sich in das
Dorf verirrt hatten.
Aufmerksam
betrachtete Caroline die holzgeschnitzte Statue der Namenspatronin, der man im
Eingangsbereich der Auberge eine Nische aus dem dicken Mauerwerk herausgeschlagen
hatte. Maria war dargestellt als weiß gekleidete Dame, deren fließendes Kleid
mit einem blauen Gürtel festgehalten wurde. Auf jedem Fuß trug sie eine
goldene Rose. Genauso hatte das vierzehnjährige Müllermädchen Bernadette
Soubirous 1858 Maria beschrieben, nachdem sie ihr in einer Felsgrotte
erschienen war. Caroline hatte die Geschichte im Internet nachgelesen und
dabei ganz nebenbei festgestellt, dass man in der säkularisierten Welt auf der
Suche nach dem Wallfahrtsort Lourdes die gleichnamige Tochter von Madonna
mitgeliefert bekam.
Richtig
einleuchtend fand Caroline die Geschichte der Bernadette nicht. »Ich verspreche
Ihnen nicht, Sie in dieser Welt glücklich zu machen, wohl aber in der anderen«,
soll die Erscheinung dem Kind mitgegeben haben. Da war man als Maria natürlich
fein raus, denn so etwas entzog sich jeder Nachprüfbarkeit.
Carolines
Berufsdeformation, Aussagen auf Beweisbarkeit und Plausibilität überprüfen zu
müssen, ließ sich nicht abstellen. Vage Geschichten machten Caroline nervös.
Vage Geschichten bedeuteten Arbeit, Komplikationen, Nachtschichten und
unangenehme Überraschungen im Gerichtssaal. Auf Stimmen, die ihnen etwas
eingeflüstert hatten, beriefen sich vor allem die Klienten, die keine
Verantwortung für ihr Leben übernehmen wollten.
Es war
schon ein merkwürdiger Zufall, dass die rätselhafte Erscheinung in Lourdes so
gut in das vier Jahre zuvor verabschiedete Dogma von der unbefleckten
Empfängnis Marias passte. »Que soy era Immaculada Councepciou«, hatte die
Frau, die vor Bernadettes Augen in der Felswand schwebte, geantwortet, als das
Mädchen sie nach dem Namen fragte. »Ich bin die unbefleckte Empfängnis.«
Noch so
etwas, was Caroline nicht verstand. Unbefleckte Empfängnis bezog sich nämlich
nicht auf Jesus. Es ging um Maria selbst. In dem Dogma hatte Pius IX. als
Glaubensgrundsatz fixiert, dass nicht nur Jesus das Produkt einer Jungfrauengeburt
gewesen sei. Durch einen Akt göttlicher Gnade war auch Maria vom ersten Moment
an von der Erbsünde ausgenommen. Auch wenn die Schwangerschaft von Jesu
Großmutter Anna ansonsten ganz natürlich war. Caroline runzelte die Stirn:
Normaler Geschlechtsverkehr? Und trotzdem eine unbefleckte Empfängnis? Um so
etwas zu verstehen, musste man wohl katholisch sein.
Ein
gegnerischer Anwalt jedenfalls wäre mit einer solch abenteuerlichen
Beweisführung bei ihr nicht durchgekommen. Aber so war das wohl mit der Religion.
Entweder man glaubte, oder man glaubte nicht. Caroline jedenfalls glaubte kein
Wort von der Geschichte Bernadettes. Nicht einmal das heilende Wasser von
Lourdes war das, was es versprach. Caroline hatte gelesen, dass in
wissenschaftlichen Untersuchungen keine außergewöhnliche Mineralstoffzusammensetzung
des Quellwassers festgestellt worden war. Im allgemeinen Sprachgebrauch nannte
man das, was man da untersucht hatte, Trinkwasser. Aber wenn Menschen an die
Geschichte der Bernadette glaubten oder ihre Herberge nach ihr benennen
wollten, sollte das Caroline recht sein.
Judiths
Jubelschrei riss sie aus ihren Gedanken. »Sainte Marie! Wir sind wieder auf
Arnes Route.« Strahlend hüpfte Judith von der Ladefläche. Sie konnte ihr
unerwartetes Glück kaum fassen. »Wir werden dort schlafen, wo Arne die Nacht
verbracht hat. Es war vielleicht nicht exakt die Strecke, die er gegangen ist,
aber wir sind wieder auf seinem Weg. Ihr werdet es toll finden«, versprach sie
ihren Freundinnen. »Arne hat es geliebt. Sie haben einen Weinkeller, herrliche
weiche Betten, großzügige Badezimmer. Genau das Richtige nach einem langen
Wandertag. Arne wollte nicht mehr weg.«
Die
Modulation in ihrer Stimme war zurückgekehrt. Die Verunsicherung, die sich
während der ersten Etappe bei Judith breitgemacht hatte, war wie weggeblasen.
Sie waren auf Arnes Pilgerstrecke angekommen und Judith war bereit, wieder die
Führung zu übernehmen. Alles war gut.
Bis zu dem
Moment, als die von einem Leben unter südlicher Sonne
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