Peetz, Monika
Gut möglich, dass sie über die letzte Pilgerfahrt von Arne
gesprochen hatten. Philipp besaß zwar ein Handy, benutzte es aber nur im
äußersten Notfall und lud es selten auf. Er hielt weder etwas von der modernen
Technik noch von der Erwartung, außerhalb seiner festgelegten Sprechzeiten und
Notdienste allzeit erreichbar zu sein. Und von den Gebühren hielt er gleich gar
nichts.
Viermal
hatte Caroline schon in der Praxis angerufen, viermal von der
Sprechstundenhilfe dieselbe singende Antwort bekommen. »Herr Dr. Seitz ist auf
Hausbesuch.«
Ganz Köln
schien unter einer epidemischen Erkrankung zu leiden, die es Patienten
unmöglich machte, die Praxis von Philipp eigenständig aufzusuchen.
Es war
durchaus nicht ungewöhnlich, dass sie einander ein paar Tage nicht sprachen.
Sie gehörten nicht zu den Ehepaaren, die eine Standleitung unterhielten. Weder
im Alltag noch auf Dienstreisen. Caroline lag es fern, sich ununterbrochen mit
Anrufen, einer SMS oder Mails zu vergewissern, dass Philipp noch lebte und sie
liebte. Jetzt ärgerte sie sich, dass sie ihren Mann nicht erreichte. Sie hoffte
so sehr, dass Philipp ihr weiterhelfen konnte.
Seufzend
lehnte Caroline sich zurück. Es war immer noch angenehm warm. Aus einem offenen
Fenster hallte lautstark das »Journal de 20 heures«, das seit einiger Zeit von
einer Frau moderiert wurde und nicht mehr von der französischen
Nachrichtenikone Patrick Poivre d'Arvor, die Caroline durch sämtliche
Französischkurse begleitet hatte. Kinder kickten einen Fußball zwischen zwei
überquellende Mülleimer und jubelten bei jedem Tor, als ob sie die französische
Nationalmannschaft zur Weltmeisterschaft geschossen hätten. Eine Stimme rief
die Jungen zum späten Abendessen. Zurück blieben die alten Männer, die auf
einem Sims an der Kirchenmauer saßen und die Ereignisse des Tages kommentierten.
Seltsam, dachte Caroline, dass auf den Dorfplätzen im Süden immer nur Männer saßen.
Aber auch bei den Dienstagsfrauen waren gemischte Abende kein Erfolg. Wann immer
die Männer hinzukamen, wurde es kompliziert.
Mit
Schaudern erinnerte sich Caroline an die Kommunion von Evas Erstgeborenem
David, die groß gefeiert wurde. Groß feiern bedeutete bei Eva, dass sie nicht
nur ihre Freundinnen samt Anhang eingeladen hatte, plus Fridos komplette
Großfamilie, sondern auch ihre exzentrische Mutter. Caroline wusste noch
genau, wie sehr sie sich gewundert hatte, als sie bei diesem Fest zum ersten
Mal auf Regine traf. Evas Mutter war fassungslos, dass ihre Tochter eine
Familientradition hochhielt, aus der sie sich mühsam freigekämpft hatte. »Da
schlägt voll Oma Lore durch«, verkündete sie noch in der Eingangstür. Ihr Ton
machte deutlich, dass das nicht als Kompliment zu verstehen war. Zwischen
Regine und der streng katholischen Familie von Frido, die der Kommunion von
David mit allen verfügbaren Kindern und Kindeskindern beiwohnte, kam es zu
unschönen Wortwechseln. Mittendrin in diesem Trubel die Dienstagsfrauen und
ihre Männer.
Während
Kiki Fridos jüngstem Bruder erst das Herz und dann die Nase brach (beides
unabsichtlich), hatten Estelle und ihr Apothekenkönig ausführlich Gelegenheit
zu bereuen, keine Großpackung Ritalin mitgenommen zu haben, um sie an die
zahlreich versammelten Kinder zu verteilen. Oder an Regine, die ausgerechnet
Philipp dazu auserkoren hatte, ihr katholisches Kindheitstrauma aufzuarbeiten.
Sie konnte so gar nicht nachvollziehen, dass die Tochter, die sie zu Weltoffenheit
erzogen hatte, ihrem Enkel David so etwas Dogmatisches wie eine Kommunion
zumutete.
»Alleine
die Beichte«, brüllte Regine Philipp ins Ohr, um die Kinder zu übertönen. »Ich
musste mich als Kind sogar für die Sünden entschuldigen, an die ich mich nicht
mehr erinnerte. Immer diese Angst. Gott weiß schon, was du zu beichten haben
wirst, bevor du was getan hast.«
Kaum war
Philipp Regine erfolgreich entflohen, war er ausgerechnet an Kai geraten, der
die arme Judith bei jedem dritten Satz korrigierte. »Das, was du da sagst,
stimmt nur zum Teil«, schien sein Lieblingssatz zu sein. Drei Tage später
reichte Judith die Scheidung ein.
Nachdem
der Kommunionsnachmittag für Eva mit einem mittleren Nervenzusammenbruch
endete, verkündete sie, kirchliche Zeremonien zukünftig in der Kernfamilie zu
feiern. Auch die Männer der Dienstagsfrauen hatten nicht die besten
Erinnerungen an diesen Nachmittag. Von da an blieben sie den Treffen der fünf
Frauen nach Möglichkeit fern. Den
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