Peetz, Monika
Rucksacks. In Köln stand inzwischen eine warme
Mahlzeit auf dem Tisch. So konnte sie sich beruhigt um sich selbst kümmern.
Und um die Freundinnen, die dringend einer Aufmunterung bedurften. Zur großen
Verblüffung ihrer Mitpilger zauberte Eva aus ihrem Rucksack ein sagenhaftes
Picknick hervor. Und eine ultradünne Plastiktischdecke, in der Kiki gerührt
einen ihrer ersten Entwürfe für Studio Thalberg erkannte. Bald war nichts mehr
von dem Muster zu sehen. Auf der Tischdecke drängten sich die Leckereien.
Oliven, Salami, Käse, gefüllte Blätterteigtaschen neben Parmesancrackern,
Minimuffins mit getrockneten Tomaten und Walnuss-Karottenschnitten.
Pilgertechnisch unverantwortlich, das alles mit sich rumzuschleppen. Doch jetzt
bedeutete ihre kulinarische Geheimwaffe die Rettung sämtlicher Lebensgeister.
»Ich
verstehe Frido. Ich würde dich auch nicht weggehen lassen. Du bist großartig«,
seufzte Estelle.
Eva wand
sich schüchtern. Komplimente konnte sie schlecht annehmen. »Nur ein paar
Kleinigkeiten. Nicht der Rede wert«, wiegelte sie ab. Dabei war sie tagelang
mit der Planung und Vorbereitung des Picknicks beschäftigt gewesen. Von der
Mühe, den schweren Rucksack bis hierherzuschleppen, ganz abgesehen.
Eva füllte
die mitgebrachten Plastikteller, bediente und freute sich daran, wenn es den
anderen schmeckte. Nach stundenlangem Fußmarsch fühlte sich ein simpler Platz
im Schatten wie das Schlaraffenland an. Müßig streckten die Dienstagsfrauen
alle viere von sich, genossen die mundfertigen Happen, die Eva ihnen
kredenzte, und ließen den Blick über die Hügel schweifen. Raue Felsen ragten
aus dem satten Grün, die Luft sirrte in der Mittagshitze und die Zikaden
zirpten ihr ewiges Lied. Es roch nach trockenem Staub, nach Rosmarin und
Urlaub. Hochgefühle traten anstelle der Erschöpfung. Sie waren unterwegs. Sie
waren fernab von Köln, einer Stadt, wo man ein halbes Buch damit füllen konnte,
die Hässlichkeit des Barbarossaplatzes zu beschreiben.
Es hätte
ein idyllisches Picknick sein können. Wenn Judith sich nicht von der Gruppe separiert
hätte und wenn es die moderne Technik nicht gegeben hätte, die einen in jeder
Lebenssituation aufspürte. Als Eva den ersten Happen nehmen wollte, meldete
sich ihr Handy. Und wie immer war sie sofort zur Stelle. Das peinigende Gefühl
im Magen, dass in Köln etwas nicht in Ordnung sein könnte, ließ sie nicht zur
Ruhe kommen.
»Hallo
Lene. Wie? Eine Fünf in Mathe? Wie konnte das passieren?« Eva seufzte auf. Auch
kleine Katastrophen konnten ihre Große aus dem Gleichgewicht bringen.
Eva hatte
gerade erst begonnen, Lene gut zuzusprechen, als ihr die vernichtenden Blicke
auffielen, mit denen die Freundinnen sie bedachten. Was guckten die so
abfällig? Die konnten gar nicht mitreden. Estelle hatte zwei erwachsene
Stiefsöhne, die weit weg lebten, Carolines Kinder waren natürlich perfekt
geraten, Kiki auf der Suche nach einem passenden Vater hängen geblieben, und
Judith hatte so lange über das Kinderkriegen nachgedacht, bis es zu spät war.
Keine der Dienstagsfrauen hatte eine Ahnung, wie es war, wenn man vier Kinder
durch die Schule schleppen musste. Regine behauptete immer, es läge an der
mangelnden Frühförderung. Wenn man wichtige Zeitfenster in der kindlichen
Entwicklung verpasste, hinkte man automatisch hinterher. Regine hatte gut
reden. Wie hätte sie das tun sollen? Vier kleine Kinder zu PEKiP-Kursen
schleppen, zur musikalischen Früherziehung, zu Babyschwimmen und Chinesischunterricht.
Nicht zu vergessen die Intelligenztests bei Schulproblemen. Manchmal hatte sie
den Eindruck, dass sie die einzige Mutter war, die bei schlechten Noten und
chronischer Schulunlust nicht auf Hochbegabung tippte. »Underachiever« nannte
man so etwas auf dem Schulhof Lene war einfach nur pubertär und manchmal
schlicht faul. Aber sollte sie deswegen ihre Tochter im Stich lassen? Bloß weil
sie auf Pilgertour war? Sie wollte nicht wie Regine sein, die wochenlang
verschwand, ohne sich um irgendetwas zu kümmern. Es war zum Verzweifeln. Seit
sie in Frankreich war, fiel ihr alle fünf Minuten ihre Mutter ein.
17
»Als ich
Eva kennenlernte, wollte sie am Herzzentrum in Paris promovieren. Und dann
heiratet sie Frido, bekommt ein Kind nach dem anderen und kriegt nicht mal den
Französischkurs zu Ende«, maulte Estelle.
Caroline
antwortete mit vollem Mund: »Hast du auch nicht.«
»Ich habe
es probiert, ehrlich. Ich dachte sogar, ich habe Talent. Bis ich zum
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