Peetz, Monika
mit
gehörigem Appetit. Wer pilgert, sollte auch essen. Sie zerfledderte das
Baguette und bröckelte es in ihre riesige Tasse, schüttete reichlich Zucker
drüber, begoss das Ganze mit heißem Milch-Ricore und löffelte selig. Im Mund
fühlte sich das so weich an, dass man unweigerlich an dritte Zähne dachte. Der
Brei war warm und süß und hatte bestimmt unzählig viele Kalorien, die sie wie
von Zauberhand über die nächste Etappe tragen würden.
In der
Küche beugte sich Ginette über das Tagebuch von Arne, das Judith ihr vorgelegt
hatte. Die Hotelwirtin schüttelte energisch den Kopf. Ebenso wie die Köchin und
der Getränkelieferant, die flugs hinzugezogen wurden. Das Tagebuch wurde
herumgereicht, die eingezeichnete Karte begutachtet, gedreht und verworfen.
Mehr als ratloses Achselzucken war auch ortskundigen Gästen nicht zu entlocken.
Kleinlaut
kam Judith auf Caroline zu.
»Vielleicht
hast du recht«, gab sie mit einem missglückten Lächeln zu, »Hauptsache, wir
kommen in Lourdes an.«
Caroline
kramte ihre Notizen hervor. »Ich habe die Strecke für heute bereits
rausgesucht«, offenbarte sie den Freundinnen. Judith nickte schmallippig. Eva
blickte sorgenvoll zwischen beiden hin und her. Konflikte gab es ununterbrochen
bei den Dienstagsfrauen. Wann waren sie jemals einer Meinung? Es war diese
Sprachlosigkeit, die sie besorgte. Es war, als starre man nach einem
Steinschlag auf die kaputte Windschutzscheibe. Der Riss war deutlich. Nicht
aber, ob und wohin er sich ausbreitete.
Caroline
stand auf. Es war Zeit, aufzubrechen. Sie sah sich suchend um. Wo blieb Kiki?
27
Braun
gebrannt die nackten Beine, wohlproportioniert die Figur, verführerisch der
Anblick. Kiki hatte keine Probleme, halb nackt durch den Garten zu springen, wo
ihre Kleidung auslüftete. Sie hatte es nicht einmal übertrieben eilig. Wozu
auch. Kein Schwein interessierte sich für sie. Nicht mal Rosa, die dumpf und
vollgefressen im Modder lag.
»Und mit
diesem trägen Vieh hattest du Probleme?«, würde Kiki später ratlos fragen, als
Eva die Geschichte zum Besten gab. Aber so war das immer mit Kiki. Sie hatte
die beneidenswerte Gabe, in allem das Positive zu sehen. Gleich nach dem
Aufwachen war sie ans Fenster getreten und hatte den Blick über die
Schindeldächer schweifen lassen. Die Sonne kitzelte ihre Nase, an der Wand über
dem Bett hingen vielversprechende Skizzen und Köln war weit weg. Was wollte
sie mehr?
Kiki hatte
im Garten gerade ihre Kleidung von der Leine geholt, als sich von hinten zwei
Arme um ihre Mitte schlangen. Sie fuhr herum und erschrak sich zu Tode. Vor ihr
stand ein junger Mann mit strubbeligem blondem Haar und fröhlich glänzenden
Augen. Es war der Mann, den sie am Vorabend aus ihrem virtuellen Gedächtnis
gelöscht hatte. Es war Max. Und der war unverschämt gut gelaunt wie immer.
»Freust du
dich?«
Keine
Erklärung, keine Erläuterung, kein gar nichts. Ein einfaches:
»Freust du
dich?«
So ähnlich
musste die kleine Bernadette sich gefühlt haben, als ihr die Jungfrau Maria
erschien. Nur war Kikis Erscheinung ganz und gar irdisch. Max schaffte in einem
Bruchteil von einer Sekunde, was der kilometerlange Fußmarsch am Vortag nicht
zuwege gebracht hatte: Ein universales Schwächegefühl ergriff Kiki. Ihre Knie
fühlten sich an wie Pudding, ihr Puls schnellte in die Höhe wie auf einer
Achterbahnfahrt und ihr Gehirn war vollkommen leer. Alles Blut war mit einem
Schlag aus der Region, die Denken erst möglich machte, weggesackt. Es wurde
dringend dazu benötigt, hektische rote Flecken auf Kikis Hals und Gesicht zu
zaubern.
»Max«,
presste sie hervor. Zu komplexeren Äußerungen war sie im ersten Schock nicht
fähig. Sie realisierte, dass sie immer noch in Unterwäsche im Garten stand.
Hastig schlüpfte sie in ihr Kleid.
»Du hast
vollkommen recht, aus dem Studio zu flüchten. In einer neuen Umgebung kommt man
auf die besten Ideen«, meinte Max.
Im Moment
hatte Kiki weniger kreative Geistesblitze als ganz banale Fragen. Woher wusste
Max, wo er sie finden konnte? Sie hatte niemandem im Studio verraten, wo sie
ihre freien Tage verbringen wollte.
»Wer hat
dir erzählt... wir wussten selbst nicht einmal, wo wir schlafen werden«,
stammelte sie verwirrt.
»Die
Tochter deiner Freundin Eva setzt alles auf ihre Homepage. Mit den genauen
Uhrzeiten.«
Das Handy
von Max klingelte durchdringend. Er wühlte in seiner Umhängetasche. Doch er
kramte nicht etwa nach dem Telefon, sondern nach dem
Weitere Kostenlose Bücher