Peetz, Monika
einem guten Glas teurem Rotwein besonders gut
machten.
»Typisch«,
dachte Eva. Wenn sie schon pilgerte, dann nicht einmal auf der Hauptstrecke
Richtung Santiago de Compostela, wo Pilger ins normale Straßenbild gehörten.
Sie schleppte sich über eine unbekannte, schlecht beschilderte Nebenstrecke.
Vielleicht war das symptomatisch für ihr Leben. Sie schien schon seit Längerem
auf der Seitenspur unterwegs zu sein.
Den
Freundinnen war es egal, dass sie angegafft wurden. Estelle sah so aus, als
stände sie kurz davor, dem neckischen Wirt vom Le barracuda ein Autogramm zu
geben.
Eva war
erleichtert, als sie die Autobahn über eine Brücke überquerten und der graue
Beton von karg bewachsenen Hügeln abgelöst wurde. Hinter ihnen verschwanden Narbonne
und der Lärm der Autobahn. Die typischen, niedrigen Gewächse der Garrigue
wurden abgelöst durch baumreiches Gebiet. Auf dem Weg tanzten die Schatten der
Bäume, die in der sommerlichen Brise schaukelten: hochaufgereckte, sattgrüne
Zypressen an der einen, raschelnde Laubbäume an der anderen Seite.
Kilometerlang kein Dorf, keine Stadt, keine kritischen Beobachter. Auf dem Weg
lag nur das Benediktinerkloster von Fontfroide, wo es zwar keine Mönche mehr
gab, dafür ein Restaurant und eine blutjunge Bedienung. Die Dienstagsfrauen
saßen fast alleine unter dem Gewölbe aus Bastmatten. Ein paar Tische weiter
nahmen zwei italienische Motorradfahrer, die mit ihren antiken Moto Guzzis
ihrem Alltag entflohen waren, ihre Mittagsmahlzeit ein. Viel mehr als das junge
Gemüse auf dem Teller interessierte sie die Bedienung, die die ergrauten Easy
Rider ebenso gelangweilt bediente wie die Dienstagsfrauen. Das Essen war
großartig.
Die
Mahlzeit begann mit einem Mesclun-Salat aus jungen grünen Blattsalaten, Kohl
und Blumenblättern, mit viel Olivenöl, Zitrone und frischem Brot. Danach Steak
mit Kartoffelgratin und zum Nachtisch Erdbeersorbet. Judith stocherte in ihrem
Eieromelette. Mit Müh und Not widerstanden die Dienstagsfrauen der Verlockung,
Wein zur gemütlichen Mahlzeit zu bestellen. Sie hatten noch nicht einmal die
Hälfte des Tagespensums geschafft. Vermutlich hätten sie den Rest des Tages
hier verbracht, gäbe es nicht das Busunternehmen Spatz aus Fulda, das eine
rüstige Rentnertruppe auf dem Parkplatz der Abtei auskippte. Die Pensionisten
befanden sich, wie das Schild am Bus verkündete, auf der Rundreise »Katharer
und Katalanen« und erkundeten im Schnellverfahren Nordspanien, Andorra und
Südfrankreich. Eilig hatten sie es: drei Länder in neun Tagen, Essen bitte in
fünfzehn Minuten und die Getränke sofort. Zack, zack.
»In dem
Alter hat man keine Zeit mehr zu verschwenden«, entschuldigte Eva die Ungeduld
der Rentner. Doch als die Ersten sich lautstark über den langsamen Service
beschwerten, ergriffen die Dienstagsfrauen die Flucht. Dorthin, wo es still
war und man keine peinlichen Landsleute traf.
Eva
entspannte sich mit jedem Schritt mehr. In der einsamen Landschaft, wo es keine
Arbeiter und feixenden Wirte gab, die sie bei ihrem schweißtreibenden
Unterfangen beobachten konnten, lief sie wie befreit. Und ohne den schweren
Rucksack sowieso. Stolz machte sich breit. Beschwingt lief sie nach der
Mittagspause neben Caroline. Dahinter Kiki, deren Gesicht nur eins zu sagen
schien: »Nicht ansprechen!«
30
Kiki sah
nichts. Nicht die Abtei Fontfroide, die malerisch in den dicht bewachsenen
Hügeln in einer Mulde lag, nicht die schönen bunten Fenster, die die
schnörkellosen Innenräume in vielfarbenes Licht tauchten, nicht den von Grün
überwucherten Kreuzgang mit seinen Doppelsäulen und Arkaden, nicht den
Rosengarten. Kiki entdeckte dennoch etwas Neues. Diesmal in sich. Es war das
Gefühl von Reue.
Wie hatte
ihr das mit Max nur passieren können? Es war nicht mal Liebe auf den ersten
Blick gewesen. Wie auch? Als Kiki bei Thalberg anfing, war Max ein hoch
aufgeschossener Gymnasiast, dem die langen Arme um den mageren, unproportionierten
Körper schlackerten, als gehörten sie in Wirklichkeit einem anderen. Die
Modellbauer, bei denen er ab und an geparkt wurde, um sich mit der Basis des
Geschäfts vertraut zu machen, taten ihn als hoffnungslosen Fall ab. Arbeiten
mit den Händen hieß für Max, die Innenflächen mit hilfreichen Hinweisen für die
nächste Französischschulaufgabe zu beschmieren.
Kiki war
fast vom Stuhl gefallen, als Thalberg ihr vor wenigen Wochen mitteilte, dass
der Junge seine Semesterferien in ihrer Abteilung verbringen
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