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Peetz, Monika

Peetz, Monika

Titel: Peetz, Monika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Dienstagsfrauen
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hatten
kaum Bewohner, dafür aber eine Touristeninformation und, wenn man Glück hatte,
eine Bar. Ein paar Kilometer waren es noch bis zu ihrem Tagesziel bei
Bagneres-de-Bigorre. Von dort blieben gut dreißig Kilometer bis Lourdes.
    Obwohl die
Nachmittagssonne den Platz erhellte, fror Caroline. Um sie herum wuselten
Männer mit strammen Waden, nacktem Oberkörper und grellen Radlerhosen, die
kein Detail der männlichen Ausstattung verbargen. Eine Gruppe italienischer Radsportler
tauschte mit einer niederländischen Equipe die verschwitzten Trikots aus, als
hätten sie soeben ein gemeinsames Fußballspiel bestritten. Die Pilger der
Neuzeit hatten es mehr mit dem Sport als mit der Religion. Dem aufgeregten
Stimmengewirr konnte Caroline entnehmen, dass ein paar der Radler nach
Finisterre wollten. Bis ans Ende der Welt, dem eigentlichen Endpunkt des
Jakobswegs, der sechzig Kilometer hinter Santiago de Compostela lag.
    Caroline
war diesen Radpilgern ein Stück voraus. Sie war bereits am Ende ihrer Welt
angekommen. Und zermarterte sich den Kopf, wann und wo ihr das Leben entglitten
war. Philipp und sie waren vom gemeinschaftlichen Weg abgekommen. Sie hatten
aufgehört, einander wahrzunehmen.
    Sie kam
nicht einmal auf die Idee, Vincent und Josephine anzurufen. Caroline neigte
nicht dazu, ihre persönlichen Probleme mit den Kindern zu besprechen. Sie war
stolz darauf, dass ihre beiden so unabhängig waren. Das war im Grunde das, was
sie auch von sich verlangte. Stark sein.
    »Was habe
ich falsch gemacht?«, fragte Caroline Estelle, als diese mit zwei Gläsern
Rotwein vom Ausschank kam.
    »Nichts.
Gar nichts«, bestätigte Estelle. »Du bist eine fantastische Mutter, eine
großartige Anwältin, du siehst gut aus, für dein Alter, du bist eine
aufrichtige Freundin. Kurz. Es ist nicht auszuhalten mit dir.«
    »Ich meine
es ernst, Estelle.«
    »Ich
auch«, entgegnete die Freundin in ihrem üblichen trockenen Ton. »Kannst du
wenigstens mal zu spät kommen, dich betrinken oder peinliche Dinge tun? Du
weißt immer alles so gut. Kein Wunder, dass dein Mann sich eine hilfsbedürftige
Patientin sucht, die ihn bewundert.«
    »So bin
ich nicht. Ich bin nicht perfekt«, wehrte sich Caroline. Estelle war nicht
überzeugt.
    »Gibt es
etwas, was du nicht kannst?«, fragte sie misstrauisch.
    Caroline
musste nicht lange nachdenken. »Singen«, platzte sie heraus.
    »Du
solltest ab und zu laut singen. Das würde helfen. Mir jedenfalls«, befand
Estelle. Caroline drückte ihr einen Kuss auf die Wange. Estelle war unbezahlbar.
Sie hatte eine spitze Zunge, machte sich gerne über andere lustig, aber sie war
auch eine kluge und loyale Freundin.
     
    Singen?
Der merkwürdige Vorschlag ließ Caroline nicht los. Sie begriff, worum es
Estelle ging. Um den Mut, Schwäche zu zeigen. Nicht gerade etwas, was in ihrem
Beruf gefragt war.
    »Tut mir
leid, ich bin ratlos«, wollte kein Klient hören. Auch Richter reagierten eher
allergisch, wenn man zugab, dass man nicht die geringste Ahnung hatte, wie es
zu der Straftat gekommen war, die es zu verhandeln galt. Caroline wurde dafür
bezahlt, dass sie in schwierigen Lebenssituationen wusste, was zu tun ist.
Zweifel waren Privatvergnügen.
    »Sie
brauchen kein gutes Selbstwertgefühl, um selbstbewusst vor Gericht
aufzutreten. Üben Sie, selbstsicher aufzutreten, dann kommt das
Selbstbewusstsein von alleine«, hatte ihr alter Strafrechtsprofessor gepredigt.
Vielleicht hatte diese raue Schale der permanenten Selbstkontrolle ihr privates
Ich überwuchert.
    »Du
solltest mehr singen«, beschloss Caroline, als sie sowie jeden Abend die frisch
ausgewaschene Kleidung zum Trocknen aufhängte. Diesmal im Stall des
Bauernhofes, in dem sie für diese Nacht Unterschlupf gefunden hatten. Mit
zittriger Stimme probierte sie sich an den Poppys. Die Kühe stoppten mit
Wiederkäuen und glotzten Caroline blöde an. Nach ein paar wackligen Tönen hielt
Caroline entmutigt inne. Ob Philipps Geliebte singen konnte? Sie versuchte sich
vorzustellen, wie die Frau war, mit der Philipp sich eingelassen hatte. Der
Anwalt hatte sie als klein und zierlich beschrieben. Mädchenhaft fast. War es
das, was Philipp angezogen hatte? Das Gefühl, als Beschützer gebraucht zu
werden?
    Egal.
Jetzt ging es ums Singen. Caroline zog sich in den angrenzenden Schuppen
zurück, dorthin, wo niemand sie hören konnte. Nicht einmal eine Kuh.
     
    Caroline
war nicht die Einzige, die an diesem Abend die Abgeschiedenheit der Gruppe
vorzog. Eine aufgeregte

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