Peetz, Monika
weibliche Stimme schwirrte durch die Luft. Durch einen
Spalt im Holz sah Caroline nach draußen. Auf der Wiese hinter dem Schuppen,
weit weg vom Haupthaus, lief eine Gestalt auf und ab und telefonierte. Sie
gestikulierte aufgeregt. Der Wind trug ihre Worte davon.
Vorsichtig
schlich Caroline zum seitlichen Tor hinaus, schob sich Schritt für Schritt an
der Bretterwand entlang, bis sie das Ende des Schuppens erreicht hatte. Hinter
der Ecke, nur ein paar Meter von ihr entfernt, telefonierte Judith. Ihre Stimme
war laut. Erst jetzt konnte Caroline jedes einzelne Wort hören.
»Du bist
ein Arsch, Philipp«, wütete Judith. Ihre Stimme klang höher und atemloser als
sonst.
»Was hast
du mir nicht alles vorgesäuselt. Ein neues Leben wolltest du. Nein, Philipp, du
hörst zu. Caroline verdient was Besseres als dich. Jede Frau verdient was
Besseres als dich. Ich Idiot habe Arne beinahe verlassen. Um mit dir zu leben.
Philipp, du kannst mich mal. Ruf mich nie wieder an.«
Judith
legte auf, atmete tief durch und ging zurück Richtung Haupthaus. Der Platz an
der Ecke, an dem Caroline eben gelauscht hatte, war leer.
67
Judith
bemühte sich, nicht von ihrem Frühstücksteller aufzusehen. Sie vermied jeden
Blick zu Eva. Am Tisch der Dienstagsfrauen herrschte Schweigen. Kiki und Max
konzentrierten sich, die Fetzen Papier, die sie der Wasserkatastrophe
entrissen hatten, zu einem Bild zusammenzusetzen, als ein fröhlicher Singsang
sie aus der Konzentration riss.
»Guten
Morgen zusammen. Gut geschlafen?« Caroline gab sich ausgesprochen fröhlich, als
sie den kleinen Frühstücksraum betrat. Niemand sah ihr an, was sie in der
letzten Nacht durchgemacht hatte. Ihr erster Impuls nach dem gestrigen Fiasko
war gewesen, den Rucksack zu packen und zu verschwinden. Diesmal gab es kein
Hausschwein Rosa, das sich in den Weg stellte und die Flucht verhinderte.
Trotzdem kam Caroline kaum weiter als Eva.
Als sie in
unangenehm feuchten Klamotten den Einödhof verlassen wollte, dämmerte die Nacht
herauf Ein steiniger Trampelpfad führte direkt in Richtung Wald. Vor ihr lag
eine ausgestreckte hüglige Landschaft. Nirgendwo war eine menschliche Behausung
oder gar ein Dorf erkennbar, das als Ziel hätte dienen können. Wo wollte sie
heute noch ankommen? Es hatte keinen Sinn, davonzulaufen. Sie würde den Weg zu
Ende gehen. Den nach Lourdes. Und den, den sie mit Judith vor sich hatte.
Außerdem: Was sollte sie zu Hause? Gab es das überhaupt noch? Ihr Zuhause?
Die halbe
Nacht hatte sie sich ausgemalt, was Philipp Judith erzählt haben mochte. Wie
vertröstete man eine Geliebte?
»Ich kann
Caroline nicht verlassen, weil sie so labil ist«, schied wohl aus als
Begründung. Aber das Arsenal der Hinhaltetechniken bot mehr Varianten. Sätze
wie:
»Ich liebe
meine Frau schon lange nicht mehr.«
»Caroline
versteht mich nicht.«
»Wir leben
wie Bruder und Schwester zusammen.«
Die
Vorstellung, dass Philipp vor Judith ihr Sexleben ausgebreitet hatte,
bereitete ihr körperliches Unwohlsein. Anders als viele Ehepaare, die auf die
Silberhochzeit zusteuerten, hatten sie nämlich eines. Egal, was Philipp
behauptete. Es war vielleicht nicht mehr so aufregend wie am Anfang, wo schon
mal der Küchentisch, ein Strandkorb oder der Lift herhalten mussten, aber es
existierte.
»Ich bin
nur noch mit Caroline zusammen, weil ...«
Die Kinder
waren groß, die konnten als Entschuldigung für mangelnde Scheidungsfreude nicht
herhalten. Warum waren sie noch zusammen? Was verband sie außer fünfundzwanzig
Jahren Vergangenheit, einem Familienstammbuch, einer gemeinsamen Hypothek und
einem Kühlschrank, der abwechselnd befüllt und gemeinschaftlich geleert wurde?
Caroline hatte keine Antwort. Sie wusste nicht einmal, wie sie mit Judith
umgehen sollte.
Betont
munter setzte sich Caroline an den Frühstückstisch: »Wer weiß, was uns heute
wieder erwartet. Der heilige Jakob bringt alle Geheimnisse an den Tag.«
Judith
rutschte unruhig auf ihrem Sitz hin und her. Der aufgesetzt fröhliche Ton, den
Caroline anschlug, konnte nichts Gutes bedeuten. Ihr Blick flog zu Eva. Die
schüttelte den Kopf.
»Irgendein
Problem, Judith?«, erkundigte Caroline sich zuckersüß.
»Die
Butter? Wo ist die Butter?«, rettete sich Judith in die Normalität.
»Wo soll
sie schon sein? Im Kino?«
Caroline
wies auf die abgepackten Portionen, die direkt vor Judiths Nase standen.
Das
Gespräch erstarb. Auch Kiki und Max, die seit dem Kloster vor allem mit sich
selbst beschäftigt
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