Peetz, Monika
waren, begriffen, dass etwas nicht stimmte.
»Wusstet
ihr eigentlich, dass Judith eine Affäre mit meinem Mann hat?«, fragte Caroline
im Plauderton und biss genussvoll in ihr Brötchen. »Philipp unterhält
anscheinend einen ganzen Harem.«
Die
Dienstagsfrauen mussten nur auf die niedergeschlagenen Augen und flammend
roten Wangen von Judith sehen, um zu begreifen, dass Caroline die Wahrheit
sprach.
»Noch
jemand, der mit meinem Mann geschlafen hat?«, erkundigte sie sich interessiert.
Estelle
meldete sich. Caroline sah sie entsetzt an.
»Kleiner
Scherz«, platzte Estelle heraus. »Sehe ich so aus, als hätte ich eine Affäre?
Niemals. Nicht bevor ich die Bauchwandkorrektur durchgeführt habe.«
Niemand
lachte. Estelles ultimatives Geheimmittel, Spannungen mit Witzeleien zu
entschärfen, versagte. Kiki stand auf. So heftig und plötzlich, dass ihr Stuhl
umfiel. Sie gestikulierte vage, wollte etwas sagen und gab auf. Gemeinsam mit
Max flüchtete sie. Es gab Momente, die waren zu privat, um als unfreiwilliger
Beobachter daran teilzunehmen. Die Explosion lag spürbar in der Luft.
»Ich habe
versucht, mit dir zu reden«, setzte Judith zaghaft an. Caroline walzte darüber
hinweg, als gäbe es Judith nicht. Sie hatte keine Lust, sich anzuhören, warum
es nicht Judiths Schuld war, dass es ihre Schuld war. Sie hatte genug von Judiths
Tränen, den hilflosen Gesten, den Bambiaugen.
»Ich bin
zu neugierig, wohin der Weg uns heute führt«, verkündete Caroline fröhlich. Sie
klemmte das Brötchen zwischen die Zähne, griff den Rucksack und verließ den
Frühstücksraum.
»Religion
ist kein guter Ratgeber«, war Estelles Schlussfolgerung. »Liebe deinen
Nächsten, heißt es in der Bibel. Sie haben nur vergessen zu erwähnen, dass man
sich dabei nicht erwischen lassen soll.«
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»Ich kann
alles erklären.« Judith hechelte hinter Caroline her. Die blieb tatsächlich
stehen und strahlte sie an: »Irgendjemand hat gesagt, dass man bei Problemen
die Aussprache suchen soll.« Caroline machte eine Kunstpause: »Dieser Jemand
muss ein kompletter Idiot sein.« Und weg war sie. Judith rannte hinter ihr her.
Ihr Rucksack hüpfte aufgeregt auf ihrem Rücken.
»Es tut
mir leid, dass du so wütend auf mich bist.«
»Ich will
es nicht hören, Judith.«
Caroline
schob das Geäst, das weit in den Pfad hineinragte, zur Seite und ließ es mit
voller Absicht zurückschnalzen. Ein Zweig knallte Judith schmerzhaft ins
Gesicht. Tränen schossen ihr in die Augen. Caroline zog das Tempo gnadenlos an.
Judith immer hinterher.
»Das ist
kindisch, Caroline. Können wir nicht wie zwei Erwachsene miteinander reden?«
Caroline
hielt sich die Ohren zu. Schade, dass es in Frankreich kein Knäckebrot gab.
Manchmal hatte sie am Abendbrottisch mit Vincent und Josephine Knäckebrot
gegessen, wenn ihr alles zu viel wurde. Das Geräusch des Brotes, das zwischen
den Backenzähnen zermahlt wurde, übertönte das abendliche Gezänk zwischen müden
Kindern.
»Maaamaaa!
Vincent hat mich ins Schienbein getreten.«
»Aber nur weil die Fien mir Pommes vom Teller klaut.«
»Der Vincent hat viel mehr gekriegt.«
»Fien lügt. Immer lügt sie.«
»Und du
willst immer der Bestimmer sein. Dabei bist du viel zu doof dafür.«
»Maaamaaa.«
Ihre
beiden bewiesen eine gehörige kriminelle Energie, sich ausdauernd und
fälschlich zu beschuldigen. Und sie sollte den wahren Schuldigen anweisen.
Richter spielen war nicht ihre Stärke. Caroline spürte in solchen Situationen,
wie sie die Geduld verlor. Dann half nur noch, sich an etwas festzusaugen. An
einer Packung Knäckebrot zum Beispiel. Knäckebrot, las sie dann, war reicher an
Vitaminen, Mineral- und Ballaststoffen sowie sekundären Pflanzenstoffen als
Weißmehlbrote und schlug auch in puncto Nährstoffgehalt andere Vollkornbrote.
Von dem angenehmen Geräusch, das alles übertönte, erzählte der Text auf der
Packung nichts.
Nein, sie
war nicht perfekt. Nie gewesen. Sie war nur ein bisschen perfektionistischer
als ihre Freundinnen. Und ein bisschen weniger mitteilsam gegenüber ihrem
Umfeld, wenn es um die Knäckebrotmomente im Leben ging.
Und jetzt
wollte sie kindisch sein. Am liebsten hätte sie Judith gegen das Schienbein
getreten. Aber den Gefallen würde sie ihr nicht tun. Sie konnte sich
ausrechnen, wie so etwas ausging. Judith würde in Tränen ausbrechen und das
verletzte hilfsbedürftige Reh geben. Und am Ende war sie es, die Judith trösten
musste, weil man als erwachsene Frau
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