Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pelagia und der rote Hahn

Pelagia und der rote Hahn

Titel: Pelagia und der rote Hahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
Vom Netzwerk:
kam er zur Besinnung. Er wurde rot bis unter die Haarwurzeln und trat eilig auf die Straße, um sich in der feuchten baltischen Brise abzukühlen.
    Der Tag neigte sich seinem Ende zu. Es war Zeit, sich auf Dolinins Ankunft vorzubereiten.
    Laut Adressbuch wohnte das bewusste Mitglied des Ministerrates im Hause Scholz am Sagorodni-Prospekt. Matwej Benzionowitsch sah sich das Gebäude an (ein gewöhnliches Mietshaus mit drei Etagen, die Wohnung des Generals im ersten Stock) und zählte nach, welches Dolinins Fenster sein mussten.
    Dann nahm er ein Zimmer im Logierhaus »Helsingfors«, das äußerst günstig, nämlich fast genau gegenüber, gelegen war.
    Langsam wurde es dunkel. Zeit, zum Nikolajewski-Bahnhof zu fahren.
    ***
    Mit der Droschke hatte er ausnehmend Glück. Nummer 48-36 war ein aufgeweckter junger Bursche. Als er begriffen hatte, was man von ihm wollte, begannen seine Augen zu leuchten, und er vergaß sogar, um den Fahrpreis zu feilschen.
    Der Zug aus Moskau war pünktlich. Der Staatsanwalt war Dolinin in Sawolshsk schon einmal begegnet, er hatte sogar mit ihm gesprochen. Deshalb nahm er vorsorglich hinter einem Zeitungskiosk Deckung, wartete, bis Sergej Sergejewitsch an ihm vorbeigegangen war, und heftete sich ihm an die Fersen.
    Leider kam niemand, um den Wirklichen Staatsrat abzuholen. Berditschewski hatte sich in seiner Fantasie schon eine geheimnisvolle Kutsche ausgemalt, und eine Hand, die ihm die Tür aufhielt. Natürlich nicht irgendeine Hand, sondern eine mit einem außergewöhnlichen Ring am kleinen Finger, und dazu der Ärmel einer Uniform mit Goldstickerei.
    Aber nichts dergleichen, weder Hand noch Kutsche. Dolinin nahm bescheiden eine Droschke, stellte seine unansehnliche Reisetasche neben sich, und weg war er.
    Nummer 48-36 hatte kapiert. Als er sah, dass Berditschewski angelaufen kam, fuhr er schon los. Der Staatsanwalt sprang während der Fahrt auf und flüsterte nur: Nicht zu dicht, nicht zu dicht. Der Kutscher hielt einen idealen Abstand von etwa hundert Schritt, ließ zwei, drei Equipagen zwischen sich und den Verfolgten, aber nicht mehr, damit er ihn nicht aus den Augen verlor.
    Dolinins Droschke fuhr nicht auf den Newski-Prospekt, sondern schwenkte in die Ligowskaja-Straße ein. Anscheinend will er nach Hause, dachte Matwej Benzionowitsch enttäuscht. So war es auch, der Inspektor bog in die Swenigorodskaja ab.
    Vor dem Haus Scholz hieß es erst einmal warten.
    In den Fenstern von Dolinins Wohnung ging das Licht an, dann erlosch es wieder. Nur ein einziges Fenster blieb erleuchtet. Ging er zu Bett, schrieb er einen Bericht? Oder kleidete er sich etwa um, um mitten in der Nacht noch irgendwohin zu fahren?
    Der Staatsanwalt war sich unschlüssig. Sollte er jetzt die ganze Nacht hier herumstehen?
    Wenigstens solange noch Licht brannte, wollte er abwarten. Wer weiß, vielleicht erwartete Dolinin ja noch einen späten Besucher!
    Aber das einsame Licht leuchtete noch genau zweiundvierzig Minuten und verlosch dann.
    Anscheinend hatte er sich doch zu Bett begeben.
    »Wer ist das, ein Spiejon?«, fragte der Kutscher mit verschwörerisch gedämpfter Stimme.
    Berditschewski nickte zerstreut und überlegte, ob er nicht am besten gleich in der Kutsche sein Nachtlager aufschlagen sollte.
    »Ein merikanischer?«, bohrte Nummer 48-36 nach.
    »Warum ein amerikanischer?«, wunderte sich der Staatsanwalt.
    Statt einer Antwort zog der Bursche nur die Nase hoch. Weiß der Teufel, was für ein Unkraut da in seinem Kopf wucherte, und warum er dem vermeintlichen Feind der Heimat ausgerechnet eine so exotische Staatsangehörigkeit andichtete.
    »Nein, ein österreichisch-ungarischer«, entgegnete Matwej Benzionowitsch. Das schien ihm immerhin glaubwürdiger.
    Der Kutscher nickte.
    »Wenn Euer Wohlgeboren wünschen, kann ich hier Wache stehen, und wenn es die ganze Nacht ist. Wir sind das gewohnt, der entgeht uns nicht. Ehrlich! Hafer habe ich im Futtersack dabei. Und ich bin nicht teuer. Drei Rubelchen. Oder zwei und ein Fuffzjer, ja?«
    Man sah ihm an, wie schrecklich gern er diesem österreichi-sehen Spion auflauern würde. Und so schlecht war die Idee gar nicht – zumal der Preis durchaus zivil!
    »Na gut. Ich bin dort in diesem Logierhaus. Siehst du das Fenster? Das Eckfenster im ersten Stock? Wenn er weggeht, oder wenn irgendjemand zu ihm kommt, gib mir sofort Bescheid! Auch wenn nur das Licht angeht.« Berditschewski dachte einen Moment nach. »Bloß wie?«
    »Ich kann pfeifen«, schlug 48-36 vor. »Ich

Weitere Kostenlose Bücher