Pelagia und der rote Hahn
sich zur Seite. Neben ihm stand ein Portier von höchst imposantem Aussehen, ein Luxusexemplar von Portier sozusagen – mit Dreispitz, tressenbesetzter Uniform und weißen Strümpfen. Das war schon kein Portier mehr, das war der reinste Feldmarschall. Während Berditschewski das Senatsgebäude betrachtete, hatte er die Annäherung dieser götzengleichen Erscheinung überhaupt nicht bemerkt.
»Euer Hochwohlgeboren werden erwartet«, sagte der Portier-Feldmarschall mit gebührlichem Respekt, aber gleichzeitig auch streng, wie es nur Bedienstete zuwege bringen, die ganz oben auf dem Olymp bei den Mächtigsten tätig sind.
»Von wem denn?«, stotterte Berditschewski verdutzt.
»Euer Hochwohlgeboren werden erwartet«, wiederholte der olympische Türhüter so nachdrücklich, dass der Staatsanwalt keine weiteren Fragen stellte.
»Gnädiger Herr, soll ich warten?«, rief 48-36.
»Ja, warte hier!«
Matwej Benzionowitsch war innerlich so darauf eingestellt gewesen, das Senatsgebäude zu betreten, welches näher an der Uferpromenade lag, dass er zuerst gar nicht verstand, was man von ihm wollte, als sein Begleiter ihn taktvoll am Ellenbogen berührte.
»Hier entlang, bitte«, sagte er und deutete auf den Eingang zum Heiligen Synod.
Zu dem Dienst habenden Registrator, der in der Halle saß und träge die Fliegen verscheuchte, sagte der Portier in gewichtigem Tonfall:
»Zu Konstantin Petrowitsch. Der Herr wird erwartet.«
Und mit einer Verbeugung forderte er Berditschewski auf, ihm zur Treppe zu folgen.
Zu Konstantin Petrowitsch?
Ach . . . ach, ich blöder Dussel!
Matwej Benzionowitsch blieb stehen und schlug sich heftig an die Stirn – zur Strafe für seine Blindheit und Begriffsstutzigkeit.
Der Portier drehte sich bei dem Geräusch um.
»Haben Sie eine Mücke entfernt? Ja, ja, die reinste Plage. Wie die sich vermehrt haben – grauenhaft.«
Gesinnungsgenossen und Seelengefährten
Der Portier übergab Matwej Benzionowitsch an einen betagten Beamten, der am Fuße der Treppe wartete. Der verneigte sich kurz und bedeutete ihm mit einer Geste, ihm zu folgen.
Im Empfangszimmer des hohen Mannes, der als der Mächtigste im ganzen Reiche galt – weniger durch sein Amt als durch seinen geistigen Einfluss auf den Zaren – warteten mehr als ein Dutzend Besucher, da gab es Generäle in Paradeuniformen sowie zwei Bischöfe in vollem Ornat, aber auch einfaches Publikum – zum Beispiel eine Dame mit roten, verweinten Augen, einen aufgeregten Studenten und einen jungen Offizier.
Der Beamte trat zu dem Sekretär und wiederholte dieselben magischen Worte:
»Zu Konstantin Petrowitsch. Der Herr wird erwartet.«
Der Sekretär sah Berditschewski aufmerksam an, flatterte hinter seinem Tisch hervor und verschwand durch eine hohe weiße Tür. Kaum eine halbe Minute später war er wieder zurück.
»Bitte einzutreten.«
Matwej Benzionowitsch wusste plötzlich nicht, wohin mit seinem Hut. Schließlich legte er ihn beherzt auf dem Tisch des Sekretärs ab. Wenn ihm schon eine solche Ehre zuteil wurde, dass er an der Schlange vorbei hereingerufen wurde, dann sollen sie ruhig auch dem Hut Respekt erweisen.
Er biss sich auf die Unterlippe, die Finger seiner rechten Hand ballten sich unwillkürlich zur Faust.
Er trat ein.
Am entferntesten Ende des riesigen Saales, vor einem Tisch von gigantischen Ausmaßen, saßen zwei Herren. Der eine der beiden wandte sein Gesicht Berditschewski zu, und obwohl Matwej Benzionowitsch den Oberprokuror noch niemals persönlich gesehen hatte, erkannte er von verschiedenen Porträts her sofort dessen asketisches Gesicht mit den streng zusammengeschobenen Augenbrauen und den ein wenig abstehenden Ohren.
Der Zweite, der die goldbestickte Uniform eines Staatsbeamten trug, sah den Eintretenden kurz an und wandte den Blick sofort wieder ab.
Konstantin Petrowitsch Pobedin, der bekannt war für seine altmodische Petersburger Höflichkeit, erhob sich. Von nahem erwies sich der Oberprokuror als ein Mann von hoher, aufrechter Statur. Sein Gesicht war sehr hager, in den tief liegenden Augen leuchteten Verstand und Willensstärke. Als Berditschewski in diese bemerkenswerten Augen blickte, erinnerte er sich, dass seine Gegner den Oberprokuror gern den »Großinquisitor« nannten. Kein Wunder, es gab tatsächlich eine gewisse Ähnlichkeit.
Dolinin (denn natürlich war er der andere Herr) erhob sich nicht, im Gegenteil, er schaute demonstrativ zur Seite, als wollte er zeigen, dass er mit dem, was da gerade zwei
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