Pelagia und der rote Hahn
die Beschäftigung mit wichtigen Staatsangelegenheiten seinen privaten Kummer glücklich vergessen.
Damit stellten sich einige weitere Fragen.
Erstens: Wer war dieser Weise, der die verirrte Seele des Untersuchungsführers rettete?
Zweitens: Schöne Seelenrettung, wenn man anschließend einen professionellen Mörder dingt.
Drittens: War es ein Zufall, das Dolinins »Verklärung« und der steile Anstieg seiner Karriere sich zum selben Zeitpunkt ereigneten?
Schließlich viertens, der wichtigste Punkt: Welche Motive trieben Dolinin? Oder welche Personen? Welches Ziel stand hinter allem?
Der Kopf schwirrte ihm. Aber eines war klar – in Shitomir gab es nichts mehr zu tun. Es gab einen stärkeren Magneten, um noch einmal Prinz Hamlet zu bemühen.
Der amerikanische Spion
Matwej Benzionowitsch stieg am Zarskoje-Selo-Bahnhof aus dem Zug und begab sich unverzüglich auf das Petersburger Hauptpostamt, um zu sehen, ob irgendwelche Nachrichten von Bischof Mitrofani eingetroffen waren. Der Staatsanwalt hatte von Shitomir aus einen kurzen Bericht an Seine Eminenz geschickt, ohne jedoch auf Einzelheiten einzugehen – aus Gründen der Diskretion. Aus demselben Grunde vermied er es auch, Dolinins Namen überhaupt zu erwähnen. Er berichtete lediglich, dass er die Spur »des Eurer Eminenz bekannten Falles« in der Hauptstadt des Reiches weiterverfolge.
Ein Brief war aus Sawolshsk nicht gekommen, aber dafür erwartete den Staatsrat eine Geldüberweisung in Höhe von fünfhundert Rubel, versehen mit einer kurzen Begleitnotiz: »Gott schütze dich.«
Was für ein Prachtkerl, unser Bischof. Kein überflüssiges Wort, nur das, was Berditschewski im Augenblick am nötigsten brauchte: Geld und Segenswünsche.
Von einem ehemaligen Kommilitonen, der jetzt im Innenministerium diente, erfuhr der Staatsanwalt, dass Sergej Sergejewitsch Dolinin an diesem Abend von seiner Inspektionsreise durch die Gouvernements am Unterlauf der Wolga zurückkehren wolle und morgen früh in seiner Dienststelle erwartet werde. Das kam ihm sehr gelegen. Wollen doch mal sehen, wohin er sich nach seiner Ankunft als Erstes begibt, dachte Matwej Benzionowitsch. Er fuhr zum Nikolajewski-Bahnhof und ersah aus den Fahrplänen, dass der Zug um halb zwölf Uhr nachts ankommen sollte.
Also hatte er den ganzen Tag für sich.
Berditschewski hatte als Student mehrere Jahre in Petersburg verbracht und kannte diese schöne, kalte Stadt recht gut. Aus der Perspektive eines Menschen aus der Provinz gesehen, wurde das Erscheinungsbild der Hauptstadt von der Überfülle an Amtsgebäuden ein wenig verdorben; deren weiß-gelbe Farbtöne erdrückten und überdeckten die wahren Farben der Stadt, das Grau und das Blau. Könnte man all die Ministerien und Ämter entfernen, überlegte Matwej Benzionowitsch, würde Petersburg sanfter und freundlicher, es wäre um vieles wohnlicher für die Menschen, die hier leben. Aber davon abgesehen, was war das auch für ein seltsamer Einfall, die Hauptstadt hierher, an den äußersten Rand dieses gigantischen Reiches, zu verlegen? Wie eine schlimme Backe, von der ganz Russland Schlagseite bekam. Man sollte die Staatsmacht lieber weiter im Osten lokalisieren, aber nicht in Moskau, das kam schon allein zurecht, sondern vielleicht in Ufa oder Jekaterinburg. Dann würde das Staatsschiff seine Schlagseite loswerden und nicht mehr ständig Wasser über die Reling nehmen.
Übrigens wäre es verfehlt zu sagen, Matwej Benzionowitsch hätte während seines Spaziergangs nichts anderes getan, als solch monumentalen Gedanken nachzuhängen.
Die Mittagszeit verbrachte er im Gostini Dwor, wo er Geschenke für Frau und Kinder kaufte. Damit hatte er mehrere Stunden zu tun, denn das war eine aufwändige und verantwortungsvolle Angelegenheit. Um Gottes willen nicht vergessen, dass Anitschka Grün nicht leiden kann, dass Wanjuscha außer einer Spielzeuglokomotive nichts akzeptiert, Maschenka von Wolle immer niesen muss und so weiter und so weiter.
Als er diese zwar angenehme, aber auch sehr ermüdende Beschäftigung hinter sich hatte, bereitete sich Berditschewski ein kleines Fest: Er schlenderte an den Verkaufsständen entlang und stellte sich vor, was für ein Mitbringsel er wohl für Pelagia kaufen würde, wäre sie keine Nonne und hätte es ihre Beziehung erlaubt, ihr Geschenke zu offerieren. Seine unerfüllbaren Träume trieben den Staatsrat unaufhaltsam zu den Parfümerien, schoben ihn weiter zu den Galanteriewaren, und erst in der Dessous-Abteilung
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