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Pelagia und der rote Hahn

Pelagia und der rote Hahn

Titel: Pelagia und der rote Hahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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ihm vorbeigegangen sein, ohne ihn bemerkt zu haben.
    Mit zögernden Schritten ging sie auf ihn zu. Sie sah ein hageres Gesicht mit weit geöffneten Augen, einen zotteligen Bart und einen vorstehenden Adamsapfel. Die Augenbrauen saßen sehr weit oben, wie in ständiger Bereitschaft zu freudigem Erstaunen. Seine Haare waren nach bäuerlicher Art geschnitten und lagen wie ein Helm um seinen Kopf, waren aber seit mindestens einem halben Jahr nicht mehr gestutzt worden, sodass sie ihm jetzt fast bis auf die Schultern hingen.
    »Ich warte«, antwortete Manuila-Immanuel. »De’ Mond steht noch nicht ganz in de’ Mitte des Himmels, im Zenit, heißt das. Man muss noch ein bisschen wa’ten.«
    »Und . . . was ist dann, wenn der Mond im Zenit steht?«
    »Dann stehe ich auf und gehe do’thin.« Er zeigte auf die hinterste Ecke des Gartens.
    »Aber da ist doch nur der Zaun.«
    Der Prophet drehte sich um, als könnte jemand sie belauschen, und erklärte, die Stimme zu einem verschwörerischen Flüstern gesenkt:
    »Ich hab ein Loch ‚eingemacht, als ich das letzte Mal hie’ wa’. Ein B’ett ist locke’, man kann du’chk’iechen und dann übe’ den Hof des Koste’s zum Be’g ’auf.«
    »Und warum kann man nicht die Straße benutzen? Die führt doch auch auf den Berg?«, fragte Pelagia ebenfalls im Flüsterton.
    Er seufzte.
    »Das weiß ich auch nicht. Ich hab es schon ve’sucht, es geht nicht. Wahrscheinlich muss eben alles genau so sein wie damals. Abe’ das Wichtigste ist natü’lich, dass Vollmond ist. Das hatte ich nämlich ve’gessen, abe’ jetzt ist es mi’ wiede’ eingefallen. F’üher wa’ das Passahfest immer an Vollmond, das haben die Juden heute alles du’cheinande’ geb’acht.«
    »Was haben sie durcheinander gebracht?«, fragte Pelagia mit gerunzelter Stirn und bemühte sich vergeblich, hinter den Sinn seiner Worte zu kommen. » Warum muss unbedingt Vollmond sein?«
    »Ich sehe, du bist he’gekommen, um mit mi’ zu ’eden«, sagte Immanuel plötzlich, »’ede!«
    Pelagia erschrak. Woher wusste er das?
    Der Prophet stand auf und schaute ihr ins Gesicht. Er war einen ganzen Kopf größer als Pelagia. In seinen Pupillen glänzte das Mondlicht.
    »Du willst mich vo’ etwas p’äventie’en«, sagte er und kniff die Augen zusammen, so als läse er etwas ab und könnte wegen der Dunkelheit nur schlecht sehen.
    »Wie?«
    »Du hast mich lange gesucht, weil du mich vo’ einem Unheil p’äventie’en willst. Ode‘ vo’ etwas, das du fü‘ ein Unheil hältst. O ja, es wi’d bestimmt seh‘ inte’essant sein, mit di‘ zu ’eden. Abe’ jetzt ist es Zeit, ich muss los. Wenn du willst, komm mit mi’. Wi‘ können ja unte’wegs ’eden.«
    Er bedeutete ihr, ihm zu folgen, und ging voran, quer durch den Garten bis zum Zaun.
    Eines der Bretter war tatsächlich nur noch am oberen Nagel befestigt. Immanuel schob es zur Seite und zwängte sich durch den entstandenen Spalt.
    Pelagia folgte ihm, seltsam willenlos.
    Sie durchquerten den dunklen Hof eines Klosters und traten durch eine Pforte in die dahinter liegende Gasse. Die ganze Zeit ging es ununterbrochen bergan.
    Zu beiden Seiten des Weges standen armselige arabische Hütten. Nirgends brannte ein Licht. Einmal schaute die Nonne zurück und erblickte auf der gegenüberliegenden Seite den Tempelberg, auf dem die Omarmoschee wie ein Sahnehäubchen thronte. Das mondbeschienene Jerusalem wirkte genauso tot wie der jüdische Friedhof.
    Plötzlich fiel ihr ein, dass sie Manuila ihren Namen nicht genannt hatte, und sie sagte:
    »Ich heiße Pelagia, ich bin eine Nonne . . .«
    »Ah, eine B’aut Ch’isti!«, entgegnete Immanuel lächelnd. »De‘ Sohn Gottes hat so viele B’äute! Meh’ als de’ tü’kische Sultan. E‘ hätte ja wenigstens eine f’agen können, ob sie ihn hei’aten will.«
    Der gotteslästerliche Scherz berührte Pelagia unangenehm, er störte die mystische Stimmung, die unter dem Einfluss des Mondlichts und des besonderen Ortes entstanden war.
    Eine Weile stiegen sie schweigend bergan. Es ist Zeit, ihm alles zu erklären, dachte die Schwester und begann zu sprechen, ein wenig kühl und distanziert, weil sie seinen Scherz über die Bräute Christi noch nicht verdaut hatte.
    »Ich habe eine schlechte Nachricht für Sie. Sie befinden sich in Lebensgefahr. Sie haben machtvolle Feinde, die Sie umbringen wollen und die vor nichts zurückschrecken. Auch wenn Sie Russland verlassen haben, das hindert Ihre Feinde nicht. .

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