Pelagia und der rote Hahn
höchsten Sphären der Macht bestellt. Es war ein Wunder geschehen, es gab dort oben tatsächlich Menschen, die an das Wohl des Staates dachten, und ich hatte ihre Gunst gefunden, sie hoben mich zu sich empor und gaben meinem Leben einen neuen Sinn. Ich nahm es als ein Zeichen des Himmels. Das ist meine Chance, dachte ich, jetzt kann ich meiner Frau beweisen, dass ich ein großer Mann bin, wichtiger und bedeutender als ihr kleines Gräflein. Ich werde eine gesellschaftliche Stellung besitzen, Reichtum und Macht, ich werde ihn in jeder Hinsicht übertreffen, und dann wird es ihr Leid tun, sie wird bereuen, was sie getan hat. – Was natürlich Unsinn war, denn sie ist kein Mensch, der seine Entscheidungen bereut! Aber wie ich schon sagte, ich war außer mir.«
Sergej Sergejewitsch schwieg einen Augenblick und beendete dann seine Erzählung in einem ganz anderen Ton, ohne jede Bitterkeit oder Selbstmitleid:
»Aber in Wirklichkeit bestand der Sinn jenes Zeichens in etwas ganz anderem. Ein guter Freund hat mich später darauf gebracht – sein Name spielt keine Rolle, Sie kennen ihn nicht. Er sagte zu mir: ›Gott hat sich lhrer erbarmt, er hat Ihre Seele gerettet.‹ So einfach ist es, Gott hat sich meiner erbarmt. Und als ich das begriffen hatte, fand ich zum Glauben. Ich glaubte – ohne Deutelei, ohne Wenn und Aber. Von diesem Augenblick an begann mein wirkliches Leben.«
»Fürwahr, so ist es!«, rief Pelagia aus, und einem instinktiven Impuls folgend, sprudelte sie hervor: »Wissen Sie, ich möchte Ihnen auch gern etwas über mich erzählen . . .«
Aber in diesem Moment zog der Untersuchungsführer die Zügel an und brachte sein isabellfarbenes Pferd zum Stehen, während das Fuhrwerk mit Pelagia weiterrollte.
Die Nonne sprang vom Kutschbock herunter und lief das Stück Weg zurück zu Dolinin – nicht, weil sie ihm ihre Geschichte erzählen wollte (sie hatte verstanden, dass er für Herzensergüsse jetzt nicht empfänglich war), sondern weil sie ihm etwas Wichtiges sagen wollte.
»Gott hat Ihr Leben und Ihre Seele gerettet. Und Er wird es bei dieser Gnade nicht bewenden lassen. Die Zeit vergeht, und die Wunde wird verheilen. Eines Tages wird Ihr Groll verflogen sein, und Sie werden verstehen, dass es nicht die Schuld Ihrer Frau war. Sie ist einfach nicht die, die Ihnen von Gott bestimmt ist. Und wer weiß, vielleicht werden Sie Ihre wahre Gefährtin noch finden.«
Dolinin lächelte spöttisch, doch ohne Sarkasmus.
»Nein, danke, ich bin kuriert. Vielleicht, wenn mir so eine wie Sie begegnet. Aber ich habe den Verdacht, eine wie Sie gibt es nicht noch einmal auf der Welt. Außerdem ist es ja bedauerlicherweise nicht möglich, eine Nonne zu heiraten.«
Damit gab er seinem Pferd die Sporen und preschte an die Spitze des Zuges. Pelagia blieb vollkommen verwirrt zurück.
Die Schrecken des Waldes
Lange danach noch saß die Schwester auf dem Kutschbock und sagte kein Wort. Gott allein weiß, in welchen Sphären ihre Gedanken schwebten, auf ihrem Gesicht jedenfalls lag ein sonderbarer Ausdruck – es wirkte traurig und entrückt zugleich. Manchmal lächelte sie, dann wieder liefen ihr Tränen über die Wangen, und sie wischte sie mit dem Handrücken fort, ohne sie überhaupt zu bemerken.
Und auf einmal war diese Laune verflogen, ihre Gedanken verwirrten sich. Irgendetwas irritierte sie, lenkte sie ab, aber sie verstand nicht sofort, was es war.
Plötzlich begriff sie: Da war es wieder. Sie spürte ganz deutlich einen Blick in ihrem Nacken, einen starren, unverwandten Blick.
Das geschah nicht zum ersten Mal. Vorhin, während der mittäglichen Rast, war es genauso gewesen. Pelagia hatte sich brüsk umgedreht und gerade noch gesehen, wie sich ganz hinten am Rande der Lichtung ein Zweig im Unterholz bewegte.
Und jetzt empfand die Nonne ganz genau dieselbe Unruhe. Sie drehte sich um – und griff sich vor Schreck ans Herz: Ein riesiger grauer Vogel saß auf einer Tanne und starrte sie aus großen runden Augen an.
Pelagia kicherte leise. Herrgott, ein Uhu! Nur ein Uhu . . .
***
Aber am Abend, als das Lager für die Nacht aufgeschlagen wurde, ereignete sich ein Vorfall, bei dem ihr das Lachen verging. Während die Männer Unterstände aus Laub bauten und Reisig für das Feuer sammelten, ging Pelagia, dem Ruf der menschlichen Natur Folge leistend, ein Stück in den Wald. Weil sie sich vor den Männern genierte, stieg sie ziemlich tief in das dichte Unterholz hinein – Gott sei Dank war es noch hell genug, so
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