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Pelagia und der rote Hahn

Pelagia und der rote Hahn

Titel: Pelagia und der rote Hahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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weil er einen wichtigen Auftritt vor Gericht hatte! Einen kleinen, harmlosen Pickel, der mitten auf seiner Nase saß! Verstehen Sie, wie peinlich! Ja, damals war so ein Auftritt vor Gericht eine außerordentlich bedeutsame Angelegenheit für mich.« Jetzt war Sergej Sergejewitsch doch zur ersten Person übergegangen. »Bis zu dieser Minute, als ich in ihrem Ridikül ein Briefchen fand, und zwar eines von der pikantesten Art.«
    Pelagia stieß einen kleinen erschrockenen Laut aus.
    »Ich sage ja, eine ziemlich abgeschmackte Geschichte«, sagte Dolinin und lächelte unbeholfen.
    »Aber nein, das ist überhaupt nicht abgeschmackt!«, rief die Nonne. »Das ist ein furchtbares Unglück! Nur weil es so oft geschieht, muss es noch lange nicht abgeschmackt sein! Wenn der Mensch, der für uns der wichtigste auf der Welt ist, uns verrät, dann ist das noch schlimmer, als wenn er gestorben wäre . . . Aber nein, so etwas soll man nicht sagen, das ist eine Sünde, natürlich ist es nicht schlimmer, auf keinen Fall ist es schlimmer.«
    Pelagia wurde blass und schüttelte zweimal heftig den Kopf, als wollte sie eine böse Erinnerung oder Vision verscheuchen. Aber Sergej Sergejewitsch sah sie überhaupt nicht an, er schien ihren Einwurf gar nicht gehört zu haben.
    Er setzte die unterbrochene Erzählung fort:
    »Ich ging unverzüglich zu ihr und verlangte eine Erklärung. Aber anstatt um Verzeihung zu bitten oder mich wenigstens anzulügen, sagte sie: ›Ich liebe ihn schon lange, ich liebe ihn mehr als mein Leben. Ich habe es nicht über mich gebracht, es dir zu sagen, weil ich dich achte und weil du mir Leid tust, aber wenn es jetzt schon einmal so gekommen ist . . .‹ Er war ein langjähriger Bekannter von uns, ein Freund der Familie und häufiger Gast . . . Reich, von ansehnlicher Statur und eine ›Erlaucht‹ obendrein. Bald darauf zog sie zu ihm. Ich verlor vollkommen den Kopf, ich war außer mir. Die Welt war zusammengestürzt und lag in Trümmern, was galt mir jetzt noch das Amt, was galten mir meine wichtigen Prozesse . . . Nie hätte ich gedacht, dass ich einmal so vor jemandem auf den Knien liegen könnte, heulend und flehend und alles, was dazugehört. O ja, ich konnte, und sogar ganz vortrefflich! Aber es war alles vergebens. Meine Frau ist ein herzensguter Mensch und eine mitfühlende Seele, sie weinte bittere Tränen mit mir. Kaum fiel ich auf die Knie – bums, lag sie neben mir. Ich heulte, sie heulte, und so krochen wir nebeneinander auf dem Fußboden herum und baten uns gegenseitig um Verzeihung. Aber bei allem Mitgefühl ist sie auch eine sehr willensstarke Person, und wenn sie einmal von etwas überzeugt ist und einen Entschluss gefasst hat, bringt nichts und niemand sie davon ab. So kannte und respektierte ich sie. Natürlich wich sie auch jetzt keinen Millimeter von ihrer Haltung ab, ich quälte sie und mich ganz umsonst. Und eines Tages machte sie sich meine Schwäche zunutze« – an dieser Stelle trat zum ersten Mal offene Bitterkeit in seine Stimme – »und bat mich, ihr unseren Sohn zu überlassen. Ich willigte ein – in der Hoffnung, sie durch meinen Edelmut und meine Opferbereitschaft zu beeindrucken. Und ich war auch erfolgreich – sie war tief berührt. Aber sie kam trotzdem nicht zu mir zurück . . .
    Jedenfalls, das Projekt, von dem ich sprach, jenen Reformentwurf, verfasste ich während dieser Zeit. Ich hatte ein heimliches, ein schier wahnsinniges Ziel. Ich verstieß gegen jede Subordination, ich war geradezu dreist und unverschämt. Ich dachte: Wenn man mich aus dem Dienst entlässt – meinetwegen, es ist sowieso schon alles egal, soll es kommen, wie es kommen muss. Aber vielleicht falle ich ja auch die Treppe hinauf und mache plötzlich Karriere? Schließlich waren meine Ideen nicht ganz dumm, ich hatte mich lange genug damit gequält, sie mochten unserem Staatswesen sehr wohl zu Nutz und Frommen gereichen . . . Zunächst wurde ich tatsächlich vom Dienst suspendiert, aber das warf mich nicht aus der Bahn – im Gegenteil, es verschaffte mir sogar Genugtuung. Wenn es denn so sein soll, dachte ich – mir ist es recht. Denn zu diesem Zeitpunkt, müssen Sie wissen, war bereits ein Plan in mir herangereift.«
    »Was für ein Plan?«, fragte Pelagia, die an seinem Ton schon erriet, dass es sich um einen höchst unseligen Plan handeln musste.
    »Ein großartiger Plan«, grinste Dolinin. »Ein in seiner Art sogar unvergleichlicher Plan. Die Sache war nämlich die, dass die glücklich Liebenden

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