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Pelagia und der rote Hahn

Pelagia und der rote Hahn

Titel: Pelagia und der rote Hahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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und hielt mit ihm einen geistlichen Disput ab. (»Konstantin Petrowitsch liebt diesen Zweikampf mit Ketzern, vorausgesetzt, er bleibt dabei Sieger, so wie es seinem Namen entspricht – schließlich kommt Pobedin von ›Pobeda‹, und das bedeutet ›Sieg‹«, grinste Sergej Sergejewitsch, der von dieser Begegnung sehr ulkig, doch ohne jede Anzüglichkeit erzählte.) Und Manuila, nicht auf den Kopf gefallen, passte den Moment ab, da der schöngeistige Oberprokuror sich zum Bild des Erlösers umwandte, um sich zu bekreuzigen, und ließ eine goldene, diamantenbesetzte Uhr – ein persönliches Geschenk von Seiner Majestät dem Zaren – von Pobedins Schreibtisch verschwinden. Der Diebstahl wurde bemerkt, man brachte den Propheten aufs Revier. Konstantin Petrowitsch ließ jedoch Gnade walten, und der Vagabund durfte gehen, wohin der Wind ihn wehte, ohne dass man ihn bestrafte. »Es wurden nicht einmal Fotografien angefertigt, geschweige denn eine Bertillonage! Wie sehr hätte das jetzt meine Arbeit erleichtert!«, seufzte der Erzähler bedauernd und schloss mit den Worten:
    »Es wäre wirklich besser gewesen, er hätte ihn eingelocht, dieser unglückselige Allesverzeiher. Manuila säße jetzt zwar im Kittchen, aber er wäre am Leben.«
    »Eine traurige Geschichte«, sagte Pelagia, als er geendet hatte. »Aber am traurigsten finde ich dabei, dass der orthodoxe Glaube, der doch eigentlich unsere natürliche Religion ist, offenbar so vielen russischen Menschen keinen seelischen Trost mehr spendet. Es scheint etwas darin zu fehlen, was ein einfaches Gemüt doch braucht. Oder aber es ist im Gegenteil etwas darin, was nicht hineingehört, etwas Unwahrhaftes – sonst würden die Menschen sich doch nicht von unserer Kirche abwenden und sich all diesen abstrusen Ketzereien hingeben.«
    »Nein, unserem Glauben mangelt es an nichts«, fuhr ihr Dolinin mit solch unbeirrbarer Sicherheit ins Wort, wie sie Pelagia von diesem Skeptiker eigentlich nicht erwartet hätte.
    Aus irgendeinem Grunde hatte die Bemerkung der Nonne den Untersuchungsführer in Erregung versetzt. Eine Weile schien er unschlüssig, dann sprach er weiter:
    »Ich möchte Ihnen eine Geschichte erzählen . . . über einen Bekannten von mir . . .« Er wurde rot, riss sich den Kneifer von der Nase und rieb sich nervös die Nasenwurzel. »Ach, wozu um den heißen Brei herumreden, Sie mit Ihrem Verstand kämen ja sowieso darauf: Natürlich bin ich selbst gemeint. Sie sind der zweite Mensch auf der Welt, Schwester, dem ich diese Geschichte erzählen möchte . . . Ich weiß selbst nicht, warum . . . Nein, das stimmt nicht, ich weiß warum. Aber ich werde es Ihnen nicht sagen, es spielt hierbei keine Rolle. Ich möchte es, und das muss reichen.«
    In Sergej Sergejewitsch schien ein heftiger innerer Kampf zu toben, seine Erregung wuchs mit jedem Moment. Pelagia hatte dieses Phänomen schon des Öfteren beobachtet: Ein Mensch trägt lange, lange Zeit, manchmal über Jahre hinweg, eine schwere seelische Bürde mit sich herum, und auf einmal, wie aus heiterem Himmel, schüttet er dem erstbesten Menschen, der ihm begegnet, mit einem Schlag sein Herz aus. Aber es muss auf jeden Fall ein Fremder sein, der ihm ganz zufällig über den Weg läuft, das ist die Voraussetzung.
    »Es ist eine ganz gewöhnliche Geschichte«, begann Dolinin und lächelte ein wenig gezwungen, »sie ist eigentlich sogar ziemlich banal. Solche Geschichten passieren jeden Tag. Es ist wahrlich kein Stoff für eine echte Tragödie, allenfalls für einen anzüglichen Witz über einen Hahnrei und eine Frau, die ihm untreu wird . . . Ein Mann (welcher vor Ihnen steht, aber ich erzähle es lieber in der dritten Person, das ist weniger peinlich) heiratete einmal eine wunderschöne junge Frau. Selbstverständlich vergötterte er sie! Er war glücklich, wie man nur glücklich sein kann, und er lebte in dem Glauben, sie sei genauso glücklich wie er, und sie würden zusammenbleiben, bis dass der Tod sie schiede, wie man so schön sagt. Aber wir wollen die Geschichte nicht unnötig in die Länge ziehen, man weiß ja, was kommen muss . . . Und es kam wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Eines Tages suchte er etwas in ihrem Ridikül, irgendeine unbedeutende Kleinigkeit . . . Nein, ich muss präzisieren, damit die Abgeschmacktheit und groteske Lächerlichkeit dieses Vorgangs deutlicher wird . . . Stellen Sie sich vor, dieser Dummkopf brauchte tatsächlich eine Puderdose! Er wollte einen Pickel in seinem Gesicht abdecken,

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