Pelagia und der rote Hahn
beabsichtigten, in den Stand der Ehe zu treten. Natürlich nicht einer vollwertigen Ehe, denn eine kirchliche Trauung war ja nicht mehr möglich, aber es sollte doch so eine Art Hochzeitsfeier stattfinden. In der Hauptstadt herrschen andere Sitten als in der Provinz, dort sind solche Eheschließungen mit den Gattinnen anderer Männer ja heutzutage keine Seltenheit mehr. ›Zivilehe‹ nennt sich das. Das Fest wurde in ganz großem Stil vorbereitet, alles sehr modern, ohne falsche Scham. Es sollte ein großes Fest geben für alles, was Rang und Namen hat, nach dem Motto: Echte Liebe steht eben höher als bürokratische Gesetze und übler Klatsch.
Ich tat so, als hätte ich mich in das Unvermeidliche gefügt. So mancher mir Wohlgesonnene hatte mir ja schon seit längerem geraten, ›die Dinge doch mit einem gewissen Abstand zu betrachten‹. Also gut, betrachtete ich die Sache eben mit Abstand.« Sergej Sergejewitsch ließ ein freudloses Lachen hören, das in ein Husten überging. Dann räusperte er sich und fuhr fort: »Nach außen hin gab ich mich als der reinste Engel, geradezu als Tolstoianer, und so kam es – Sie werden es nicht glauben –, dass ich mit einer Einladung zu diesem Fest der Liebe beehrt wurde. Das war der Moment, wo mir die Idee zu jenem Plan kam . . . Zuerst wollte ich mir, etwa so, wie es im Lande der aufgehenden Sonne Sitte ist, vor aller Augen mit einem scharfen Dolch den Bauch aufschlitzen und meine Eingeweide direkt auf die Festtafel ausleeren – bitte sehr, meine Herrschaften, greifen Sie zu. Aber dann fiel mir etwas Besseres ein.«
Pelagia sperrte die Augen auf und hielt sich mit der Hand den Mund zu.
Dolinin setzte seine quälende Erzählung unerbittlich fort:
»Ich hatte mir überlegt, dass ich zu dem Fest einen Blumenstrauß und eine Flasche von ihrem Lieblingswein mitnehmen würde, den wir früher nur zweimal im Jahr zu kaufen pflegten, nämlich an ihrem Namenstag und an unserem Hochzeitstag. Und dann, wenn das Fest in vollem Gange ist, bitte ich um das Wort – meine verehrten Damen und Herren, ich möchte einen Toast ausbringen. Natürlich werden sich sofort alle Blicke auf mich richten, und ich kann mir der vorzüglichsten Aufmerksamkeit gewiss sein. Die Situation ist ja einigermaßen pikant: Der verlassene Ehemann gratuliert den frisch Vermählten. Die einen packt die Rührung, die anderen feixen innerlich. Und ich werde eine Rede halten, eine sehr, sehr kurze Rede. ›Die Liebe ist eine alles zerstörende Kraft‹, werde ich sagen. ›Möge sie euch auf ewig lächeln, so wie ich euch jetzt zulächeln werde.‹ Ich öffne die Flasche und fülle mein Glas bis zum Rand, dann hebe ich es hoch und lasse es einen Augenblick über den Köpfen der Anwesenden schweben. Das mache ich extra für meinen Sohn, der bei dem Fest natürlich auch zugegen ist. Er soll alles ganz genau im Gedächtnis behalten. Und dann lasse ich den Inhalt meines Glases ganz langsam über meine Stirn fließen.« Dolinin ließ die Hand über sein Gesicht gleiten. »Nur wird kein Wein in der Flasche sein, sondern Schwefelsäure.«
Pelagia schrie auf, aber Sergej Sergejewitsch hatte es wohl wieder nicht gehört.
»Ich hatte kurze Zeit zuvor in einem ähnlichen Falle ermittelt – ein Verbrechen aus Leidenschaft. Dort hatte eine Frau, genauer gesagt, ein Straßenmädchen, ihrem Zuhälter und Geliebten aus Eifersucht Säure ins Gesicht gegossen. Ich habe seine Leiche im Leichenschauhaus gesehen: Die Haut hatte sich vom Fleisch gelöst, die Lippen waren vollkommen zerfressen, und die bloßen Zähne grinsten mich an. Das brachte mich auf die Idee, den Jungvermählten solch ein ›Lächeln der alles zerstörenden Liebe‹ zu schenken. Den Schmerz fürchtete ich nicht, ja, ich dürstete geradezu danach, wie nach einem labenden Balsam. Er schien mir das Einzige, was diesem Feuer vergleichbar war, das mich all die Monate über innerlich verzehrt hatte . . . Natürlich wäre ich auf der Stelle tot gewesen, bei einer Verbrennung solchen Grades würde das Herz den Schock nicht verkraften. Und dann sollten die beiden meinetwegen in Frieden miteinander leben und ihr Glück genießen. Sie hätten bestimmt süße Träume gehabt . . . Und mein Sohn sollte sein Leben lang daran denken . . . So ungefähr also sah mein Plan aus.«
»Und was hat Sie daran gehindert, ihn auszuführen?«, fragte die Nonne flüsternd.
Diesmal hatte Dolinin zugehört, er nickte.
»Am Vorabend des glorreichen Tages wurde ich plötzlich in die
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