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Pelagia und der rote Hahn

Pelagia und der rote Hahn

Titel: Pelagia und der rote Hahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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gelesen, das hieß »Wie viel Erde braucht der Mensch«. Das war ulkig gewesen, es ging darum, was die Bauerntrampel für Tölpel sind.
    Na gut, Krieger des Heiligen Geistes, fahrt mit Gottes Segen.
    Vom Vordeck bis zum Heck war alles voller Juden; aber die hielten sich nicht etwa zusammen, sondern bildeten lauter kleine Grüppchen. Pfannkuchen wunderte sich darüber gar nicht mehr, er wusste ja: Dieses Volk ist nun mal so, es liegt sich unentwegt in den Haaren.
    Bei den Juden ist es wie bei unseren Leuten auch, es genießen die das höchste Ansehen, die nach Palästina fahren. Pfannkuchen blieb stehen und hörte zu, wie ein »palästinensischer« Jude sich vor einem »amerikanischen« in die Brust warf. »Ohne euch zu nahe treten zu wollen«, verkündete er gerade, »aber unser Antrieb ist die Seele, eurer der Bauch!« Der »Amerikaner« steckte den Schlag ein, ohne zu mucken. Bloß den Kopf ließ er ein wenig hängen.
    Pfannkuchen erleichterte den »Palästinenser« um einen zusammenklappbaren Meterstab, ein Schneidermaß. Nicht gerade reiche Beute, aber er konnte das Ding ja der Witwe Glascha schenken, die nähte und würde sich drüber freuen. Dem »Amerikaner« stibitzte er die Uhr, ein ziemlich schäbiges Exemplar aus billigem Kupfer, grad mal einen Rubel wert, höchstens anderthalb.
    Er verstaute die Beute in seinem Sack und mischte sich unter die schläfenlockigen jungen Männer, die gerade angefangen hatten, ein Riesengeschrei zu veranstalten – manche in ihrer eigenen komischen Sprache, die meisten aber auf Russisch. Sie waren allesamt dünn, hatten vorspringende Adamsäpfel und fiepsige Stimmen.
    Der Grund für die Aufregung war das Erscheinen eines Rabbis, eines Judenpopen. Der kam gerade vom Kabinendeck zu ihnen heraufgestiegen, und sie gleich alle auf ihn los.
    Der Pope war ein ziemlich stattlicher Kerl. Er trug einen knielangen Gehrock und eine Mütze mit Pelzbesatz, dazu einen langen weißen Rauschebart, buschige Schläfenlocken, die aussahen wie zwei Zusatzbärte, und dazwischen noch zwei ganz kleine puschelige Bärtchen – die Augenbrauen. Die Jungs umringten ihn und jammerten, was das Zeug hielt. Pfannkuchen ließ sich nicht lange bitten und nutzte die Gunst der Stunde. Denn für ihn galt noch immer: je dichter, je lichter.
    »Rebbe, Sie haben doch gesagt, wir werden fahren wie Noahs Auserwählte auf der Arche! Aber das ist der reinste chojschech hier!«, piepste ein sommersprossiger Bengel. »Was für ein Gesindel! Diese Amerikaner sind schon schlimm genug, und dazu noch die Zionisten, und Gojim, die Schweinefett essen (aha, das sind die Deutschen, schloss Pfannkuchen messerscharf), und sogar – ich spucke auf sie – Gojim, die sich für Juden ausgeben!«
    »Ja, ja, die ›Findelkinder‹!«, stimmten andere ein. »Sie haben sogar ihren Propheten dabei, wie man hört! Der, über den Sie diese schrecklichen Dinge erzählt haben!«
    »Manuila?« In den Augen des Rabbis blitzte es auf. »Er ist hier? Der Satansbraten! Haltet euch von ihm fern, sage ich euch! Und von den ›Findelkindern‹ auch!«
    Einer der Appellanten beugte sich zu einem der mit weißen Haaren zugewachsenen Ohren des Rabbi und flüsterte etwas hinein, allerdings nicht leise genug, Pfannkuchen verstand jedes Wort.
    »Und dann heißt es noch, dass sie hier sind: die ›Leibgarde Christi‹.« Die Worte waren mit einem schrecklichen, zischenden Flüstern gesprochen, und alle anderen verstummten sofort. »Sie wollen uns töten, Rebbe, sie lassen uns nicht lebend aus dem Land! Wären wir doch lieber zu Hause geblieben!«
    Von dieser »Leibgarde Christi« hatte Pfannkuchen in der Zeitung gelesen. Das ist ja eine altbekannte Tatsache, dass in gewissen Städten, wo die Leute wenig zu tun und viel Missgunst im Leibe haben, man bei jeder sich bietenden Gelegenheit über die Juden herfällt. Warum auch nicht, wenn es die Obrigkeit nicht verbietet? Aber außer den gewohnten Pogromschlägern waren in letzter Zeit gewisse »Leibgardisten« aufgetaucht, ziemlich harte Burschen, die sich geschworen hatten, es den Juden und ihren Freunden ordentlich zu geben. Abgemurkst hatten sie wohl auch schon jemanden, irgendeinen Rechtsanwalt und einen Studenten. Das mit dem Rechtsanwalt ging schon in Ordnung, das waren sowieso alles skrupellose Beutelschneider, aber was hatte der arme Student ihnen getan? So einer hatte doch schließlich auch Vater und Mutter, denen das wehtat.
    Na schön, das ist Schnee von gestern. Hier auf unserem Fluss hat es, Gott

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