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Pelagia und der rote Hahn

Pelagia und der rote Hahn

Titel: Pelagia und der rote Hahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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Ihnen zu danken habe, dann kann ich auch gleich meine Arbeit tun. Immerhin bin ich Schulleiterin. Ich sehe mich ein wenig um, rede mit den Bauern und dem Dorfältesten, vielleicht kann ich ja die kleineren Mädchen in unsere Schule mitnehmen. Dann müssen sie nicht hier ohne jede Bildung aufwachsen, nicht wahr?«
    Dabei dachte sie: Stimmt, ich könnte dann auf jeden Fall auch Dummka mitnehmen, und für ihr Omelchen finden wir bestimmt einen Platz im Klosterspital.
    Sie war sicher, dass Dolinin versuchen würde, ihr diesen Plan auszureden. Vielleicht würde er sogar böse werden.
    Aber der Untersuchungsführer sah sie nur an und sagte kein einziges Wort.
    Weiß er etwa den wahren Grund?, dachte Pelagia erschrocken. Bestimmt weiß er es, er ist doch so ein kluger, sensibler Mensch.
    Sie wandte den Blick ab, vielleicht errötete sie sogar – ihre Wangen jedenfalls waren glühend heiß.
    »Tja, es ist wohl besser so . . .«, sagte Sergej Sergejewitsch. Seine Stimme klang rau, das Sprechen schien ihm schwer zu fallen.
    »Es wird alles gut,« sagte Pelagia leise und zärtlich. »Es wird alles gut. . .«
    Mehr durfte sie nicht sagen, und auch das war eigentlich schon zu viel. Die Worte selbst, überdies nur undeutlich gemurmelt, waren zwar nicht ungebührlich, aber der Ton, in dem sie gesprochen wurden, war ganz und gar unstatthaft.
    Dolinin spürte diesen Ton, und seine Augen funkelten böse, beinahe hasserfüllt auf.
    »Na dann, leben Sie wohl, leben Sie wohl«, knurrte er.
    Und wandte sich ab.
    Schrie seine Untergebenen an:
    »Was liegt ihr hier faul rum, ihr könnt mich mal . . .! Hoch mit euch!«
    Das sagt er absichtlich so grob, das mit dem »ihr könnt mich mal«, dachte Pelagia. Um mich zu verscheuchen.
    Ein seltsamer Mensch. Jemand wie er hat es nicht leicht auf der Welt. Und die Menschen haben es bestimmt auch nicht leicht mit ihm.
    Sie verbeugte sich vor dem zornigen Rücken des Untersuchungsführers und verließ die Kate.
    Pelagia beschloss, die Nacht im Gemeindehof zu verbringen, in der Scheune. Dort war es nicht so stickig wie in der Kate, und es gab hoffentlich auch keine Kakerlaken.
    Sie stieg über die Leiter zum Heuboden hinauf, lockerte ein wenig das zusammengedrückte Heu auf und legte sich hinein. Deckte sich mit einem Plaid zu. Befahl sich zu schlafen.
    Zu verschlafen hatte sie keine Angst. Pelagia hatte sich die Scheune nämlich auch deshalb als Schlafstatt ausgesucht, weil sich darin der Hühnerstall befand. Gerade unter ihr, zu ebener Erde, gluckste und kollerte das versammelte Federvieh, und dort war auch ein ausgesprochen agiler Hahn am Werke, zweifellos ein Nachkomme jenes Gockels aus der bewussten Höhle. Das war ein Wecker, auf den sie sich verlassen konnte: Sein erster Schrei würde sie wecken; dann hatte sie noch etwas Zeit, um sich zu waschen und ihre Gedanken zu ordnen, und beim zweiten Hahnenschrei musste sie schon zur Mühle eilen, wo Dummka auf sie warten würde.
    Sie hörte, wie Dolinins Leute unten im Hof die Pferde anspannten und das Gepäck aufluden.
    Als die nervösen, abgehackten Befehle Sergej Sergejewitschs zu ihr heraufklangen, seufzte sie. Das Pferdegeschirr klirrte, die Räder quietschten. Die Expedition machte sich auf den Rückweg.
    Pelagia seufzte noch ein bisschen, dann schlief sie ein.
    Sie hatte einen schrecklichen und sündigen Traum.
    Natürlich hatte sie früher auch schon des Öfteren furchtbare Träume gehabt, auch sündige. Jede Nonne träumt bisweilen Unkeusches. Seine Eminenz hatte ihr erklärt, dass man sich solcher Träume nicht zu schämen brauche, und er hatte ihr sogar verboten, sie zu beichten, weil es sich um bloße Chimären handele. Es sei nichts Sündiges dabei, im Gegenteil. Wenn ein Mönch oder eine Nonne in der Zeit des Wachseins den Dämon des Fleisches von sich fern hält, verbirgt er sich bis zur Schlafenszeit, und wenn dann des Menschen Wille schwach wird, kommt er aus der Unterwelt hervorgekrochen und schleicht sich in seine Seele, so leise wie eine Maus in der Nacht.
    Aber dass ein Traum gleichzeitig schrecklich und unkeusch war, so etwas hatte Pelagia niemals zuvor erlebt.
    Das Erstaunlichste dabei war, dass sie gar nicht von Sergej Sergejewitsch träumte.
    Sie sah den Bauern Scheluchin, wie er dort auf dem Stuhl festgebunden saß. Er schien vollkommen lebendig, aber in Wirklichkeit war er tot. Seine Augen waren geöffnet, sie glänzten sogar, aber das kam bloß vom Nitroglyzerin, und sie waren nur deshalb offen, erinnerte sich Pelagia, weil

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