Pelagia und der rote Hahn
schon war er darin verschwunden.
»Natürlich. Und du?«
»Nein, ich kann nicht.«
»Wartest du hier?«
Dummka schüttelte den Kopf.
»Nein, ich muss mich beeilen, Fedjuschka, der Hirt, treibt bald die Herde aus. Aber du brauchst keine Angst ham, geh nur nicht zu weit rein. Man weiß nie, was da drin ist, in diesen Bäuchen . . . Und wenn du zurück ins Dorf willst, geh einfach dem Pfad nach.«
Sie drehte sich um und rannte den Weg zurück. Pelagia sah nur noch ihre weißen Waden zwischen den Blättern aufblitzen.
Die Nonne schlug das Kreuzzeichen, dann zwängte sie sich mit ihrer Lampe in den Spalt.
Dummka lief mit leichtem, beschwingtem Schritt, es kam ihr vor, als flöge sie über den fahlen Dunst der Morgendämmerung dahin. Sie breitete die Arme aus wie ein Kranich.
Um rechtzeitig zum Austrieb der Herde zurück zu sein, müsste sie sich noch ein wenig mehr sputen, sonst würde Fedjuschka ihr wohl ordentlich das Sitzleder gerben.
»Ist ja nicht schlimm, ist ja nicht schlimm«, flüsterte Dummka vor sich hin und sauste zwischen den Felsen hindurch. So ließ es sich besser rennen, wenn man immerzu sagte: Ist ja nicht schlimm, ist ja nicht schlimm.
Bis zu den Büschen laufe ich, rechnete sie sich aus, dann bin ich aus der Puste und gehe erst mal ein Stück, bis zum Fluss, und dann kann ich weiterflitzen bis zur Wiese. Wenn ich bloß nicht zu spät komme, o weh, es ist schon fast hell.
Aber mit dem aus der Puste geraten wurde es nichts, denn so weit kam sie gar nicht.
Vielleicht fünfzig Schritt vom Teufelsstein entfernt, dort, wo sich der Pfad ganz dicht an die Steilwand schmiegte, kam ein großer schwarzer Schatten hinter den Felsen hervor und bewegte sich auf die Laufende zu.
»Amanu . . .«, wollte Dummka noch rufen, aber sie brachte das Wort nicht mehr zu Ende.
Ein Fauchen durchschnitt die Luft.
Knochen zerbrachen krachend.
Dann war es still.
In der Höhle
Der Gerechtigkeit halber muss bemerkt werden, dass es keine gewöhnliche Weiberangst war, mit der die Schwester zu kämpfen hatte, als sie in die Höhle vordrang. Solche Art von Angst war der Nonne fremd (oder sagen wir, in der Regel pflegte ihre Neugier den Sieg über jegliche Ängstlichkeit davonzutragen, auch in Situationen, die weitaus gefährlicher waren als die, in der sie sich jetzt befand). Nein, hier lag ein ganz konkreter Grund vor.
Die Sache war nämlich die, dass die Nonne seit einem gewissen unerfreulichen Erlebnis, das sich in ihrer jüngeren Vergangenheit zugetragen hatte, ein schwieriges Verhältnis zu Höhlen hatte. Und allein von dem Gefühl, dass in der Dunkelheit unsichtbare Felswände sie von allen Seiten bedrängten, überkam sie ein panisches, irrationales Grauen.
Sie tastete mit der Hand nach oben, und als sie merkte, dass sie nicht an die Decke reichte, richtete sie sich vorsichtig auf und zwang sich zur Ruhe.
Was sollte es in dieser Höhle schon Schreckliches geben? Etwa ein wildes Tier, das hier hauste?
Aber dann hätte sie einen strengen Raubtiergeruch bemerken müssen.
Oder Fledermäuse?
Dafür war es zu eng.
Irgendwie gelang es ihr schließlich, sich zu beruhigen.
Sie zündete die Lampe an und leuchtete nach allen Seiten.
Was die Enge anbelangte, hatte sie sich getäuscht: Gleich hinter dem schmalen Eingang stieg die Decke der Höhle an, die Felswände traten auseinander und versanken in der Dunkelheit.
Am äußersten Rande des Lichtkegels sah sie einen Schatten über den Boden huschen: Hans-Hähnchen erkundete das Terrain.
»Was will ich hier eigentlich?«, dachte Pelagia. »War es wirklich notwendig, hierher zu kommen?«
Sie ging weiter, und bald bemerkte sie, dass die Höhle vor ihr wieder enger wurde und eine Art Gang bildete, der nach oben zu führen schien.
Die Schwester stellte die Lampe auf den Boden und setzte sich auf einen Felsvorsprung.
Warum, dachte sie, trieb sie das Schicksal immerfort in irgendwelche Höhlen?
Wofür überhaupt hatte der Herrgott unterirdische Grotten ersonnen? Wozu brauchte es die? Dass es einen ganz besonderen Sinn hatte, warum es sie gab, musste jedem klar sein, der auch nur einmal in seinem Leben in eine halbwegs tiefe und abgelegene Höhle geraten war.
Und auch in der Heiligen Schrift stand ja so viel darüber geschrieben.
Die alten Israeliten hatten in Höhlen gewohnt und ihre Toten darin bestattet. Und zu dem Propheten Elias sprach eine Stimme aus einer Höhle und fragte ihn: »Was tust du hier, Elias?« Und war es ein Zufall, dass Christus in einer Höhle
Weitere Kostenlose Bücher