Pelagia und der rote Hahn
Klarheit der Luft?
Der Hahn, zeigte sich jetzt, hatte sich seiner neuen Bekannten an die Fersen geheftet. Er kam hinter ihr hergehüpft und schlug mit den Flügeln. »Ach, so ein Strolch«, sagte die Nonne tadelnd. »So ein Leichtfuß! Wegen des erstbesten Weiberrocks lässt du Haus und Hof im Stich.«
Sie wedelte mit den Händen und zischte ihn an: Los, geh weg, geh nach Hause. Aber Hans-Hähnchen hörte nicht. Na gut, dachte sie, soll er doch. Wenn er will, findet er schon zurück.
Dummka wartete bei der Mühle.
»Sieh mal, ich habe einen Kavalier mitgebracht«, sagte Pelagia. »Er ist mir nachgelaufen. Ich habe immer versucht, ihn zu verscheuchen . . .«
»Der hat ’n Auge auf dich geworfen, den wirst du nich mehr los. Die sind furchtbar anhänglich, diese Roten. Und, gehen wir zu dem Stein, oder was?«
»Ja.«
Es wäre natürlich besser gewesen, bei Tage dorthin zu gehen, dachte Pelagia. Aber tagsüber hätte sie jemand beobachten können, und das musste ja nicht sein. Außerdem, was machte es schon aus, ob Tag oder Nacht – in der Höhle war es sowieso dunkel.
»Ist das eine Kirasinlampe?«, fragte das Mädchen und deutete mit einem ehrfürchtigen Nicken auf die Lampe, die die Nonne in der Hand trug.
»Ja, das ist eine Kerosinlampe. In der Stadt gibt es die jetzt überall, und auf den Straßen stehen Gaslaternen. Ich zeige sie dir bald, ganz bestimmt.«
Von Stein zu Stein springend, überquerten sie den Fluss, Dummka vorneweg, als zweite Pelagia mit geschürztem Habit, und der Hahn hüpfte hinterdrein.
Dann wanderten sie lange durch dichtes Gestrüpp, etwa eine Werst, und kamen schließlich zu den Felsen.
Das Mädchen ging schnell und sicher, die Nonne konnte ihr kaum folgen.
Und wieder hatte Pelagia plötzlich das Gefühl, dass diese nächtliche Welt sie anschaute, aber nicht von vorn, nicht in die Augen, sondern von hinten wie ein Dieb.
Sie sah sich um – und natürlich bemerkte sie in der Dunkelheit lauter Schatten, die hin und her huschten, doch sie gebot sich, keine Angst zu haben. Wenn sie sich schon vor irgendwelchen nächtlichen Schatten fürchtete, wie sollte es ihr dann erst in der Höhle ergehen?
Vielleicht muss ich ja auch gar nicht hineingehen, dachte Pelagia schaudernd. Ich sehe mir an, wo sie sich befindet, und das reicht.
Und was soll es da schon zu sehen geben?, überlegte sie. Was glaubst du denn da zu finden, in dieser Höhle?
Die Antwort blieb sie sich jedoch schuldig, weil es keine rationale Antwort auf diese Frage gab. Trotzdem wusste sie, dass sie den Ort, an dem Dummka den selbst ernannten Propheten gefunden hatte, einfach sehen musste, auch wenn es dafür keinen vernünftigen Grund gab. Sergej Sergejewitsch hätte sicher anders gehandelt, gerade weil es irrational war, aber er war ja auch ein Mann, und die sind nun einmal anders veranlagt.
»Da ist der Teufelsstein!« Das Mädchen war stehen geblieben und zeigte mit dem Finger auf einen dunklen Block, der vor ihnen lotrecht in die Höhe stieg. »Sollen wir nicht lieber umdrehen?«
»Zeig mir die Höhle«, befahl Pelagia und biss fest die Zähne zusammen, damit sie nicht klapperten.
Es war wirklich ein unheimlicher Ort. Hohe, dicht aneinander gedrängte Felswände, eine absolute, irgendwie tönende Stille. Sogar bei Tage musste einem hier das Gruseln kommen; umso mehr des Nachts.
Dummka allerdings schien überhaupt keine Angst zu haben. Bestimmt tauchte die Erinnerung an Manuel diese unheilschwere Landschaft in lauter freundliche Farben.
»Bist du oft hier?«, fragte Pelagia.
»Zum Teufelsstein komm ich oft, aber ich geh nie rein.«
»Und warum gehst du nicht hinein?«
Das Mädchen zuckte mit den Achseln.
»Weiß nich.«
Sie hatte keine Lust auf Erklärungen.
Hans-Hähnchen schien sich ebenfalls ausgezeichnet zu fühlen, er sprang auf einen großen Stein und spreizte munter seine kurzen Flügel.
»Wie’s aussieht, bin ich hier der einzige Feigling«, dachte Pelagia selbstkritisch und fragte:
»Also, wo ist sie? Zeig sie mir.«
Der Eingang zur Höhle war ein mit Büschen zugewachsener enger Spalt, der sich wie ein Keil in den Felsen schnitt.
»Da«, sage Dummka und schob die Zweige auseinander.
In der fahlen Dämmerung des frühen Morgens klaffte eine schwarze Öffnung, nur knapp einen Arschin hoch. Man musste sich bücken, um hineinzugelangen.
»Gehst du rein?«, fragte Dummka ehrfürchtig.
Der Hahn schlüpfte zwischen ihren Beinen hindurch. Er sah sich das Loch neugierig an, tat einen Satz – und
Weitere Kostenlose Bücher