Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pelagia und der rote Hahn

Pelagia und der rote Hahn

Titel: Pelagia und der rote Hahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
Vom Netzwerk:
die Sache nicht so verpfuscht hätten, dann wäre es logischerweise am einfachsten beim morgendlichen Schwimmen passiert.
    Dieser Frühsport findet immer in einer einsamen Bucht statt, und zwar egal bei welchem Wetter. Nur mit einem langen weißen Hemd bekleidet, schwimmt die eiserne Nonne (die Gesundheit muss sie wohl von Gott persönlich haben) mit schnellen Stößen bis zur Mitte des Flusses und wieder zurück. Man friert schon, wenn man ihr bloß zusieht.
    Er hätte es folgendermaßen gemacht: Erst eins auf die Rübe (nur ganz leicht, man soll später ja Wasser in ihren Lungen finden), und dann den Kopf unter Wasser gehalten. Tja, hat wohl einen Krampf gekriegt, das arme Ding, und ist abgesoffen. So was kommt ja leider immer wieder vor, nicht wahr. Das Wasser hat auch nur dreizehn Grad, er hat extra mit dem Thermometer nachgemessen.
    Bloß, das ging eben nicht mehr. Nachdem sein Vorgänger so wunderbar herumgepfuscht hatte, war die Obrigkeit jetzt wachsam. Der hatte freie Bahn gehabt, aber nein, er musste es in den Sand setzen, dieser einäugige Impressionist.
    Die Anweisung lautete: »Wie das Kaninchen aus dem Hut.« Wie hat man das zu verstehen?
    Das heißt in aller Öffentlichkeit, aber keiner darf was merken.
    Tja, jetzt versuch mal, eine gesunde junge Frau, eine Eisschwimmerin, die bei dreizehn Grad im Fluss rumplantscht, vor den Augen zahlreicher Zeugen um die Ecke zu bringen, ohne dass irgendjemand Verdacht schöpft. Jedes zusätzliche Paar Augen vergrößert das Risiko, denn jeder Mensch hat von Natur aus seine eigene, ganz besondere Beobachtungsgabe.
    »Nein, meine Damen und Herren, das ist einfach zu viel verlangt, das liegt jenseits des Möglichen. Ich bin doch nicht Gott Zebaoth«, brummelte Jakow Michailowitsch in seinen falschen Bart. Doch sein Gemecker war nicht ganz aufrichtig: Schließlich war es auch sehr schmeichelhaft, wenn er eine solche Aufgabe anvertraut bekam, das bedeutete ja, dass man seine Fähigkeiten schätzte und respektierte.
    Und außerdem gibt es doch nichts Verlockenderes, als nach der Lösung einer Aufgabe zu suchen, die jenseits des Möglichen liegt, oder?
    Jakow Michailowitsch glaubte hoch und heilig an das grenzenlose Potential des menschlichen Verstandes; zumindest seines eigenen Verstandes. Er ließ die Fingerknöchel knacken, schmatzte mit seinen dicken Lippen, stöhnte und ächzte, aber schließlich hatte er sie, die Lösung! Eine wunderbare, saubere, eine ganz entzückende Lösung!
    Wir brauchen gar kein Publikum! So viele Augen wie möglich? Ganz unnötig! Wie überall kommt es auch hier nicht auf die Quantität, sondern auf die Qualität an. Ein einziges Paar Augen werden wir dabei sein lassen, aber dafür eines, das einen ganzen Sack voller Zeugen ersetzt (bei denen man ohnehin nicht weiß, was sie wirklich sehen und was sie nachher beim Verhör dazuerfinden). Wenn die Nonne unmittelbar vor den Augen der Person ihr Lebenslicht aushaucht, die selbst die Ermittlungen leitet, dann kommt gar keiner auf die Idee, irgendwelche Nachforschungen oder Verhöre und so was alles zu veranstalten. Wozu auch? Der Untersuchungsführer war ja selber dabei, soll er seinen eigenen Augen nicht trauen? O doch, er wird ihnen trauen, da bleibt ihm gar nichts anderes übrig.
    Tch-jaah, tcha-hihaah . . .
    Bezirksstaatsanwalt Berditschewski fährt die Nonne allabendlich in seiner Kalesche von der bischöflichen Residenz bis zu ihrer Wohnung, hält direkt vor ihrem Haus und hilft ihr aus dem Wagen. Dann wartet er jedes Mal so lange, bis sie die Vortreppe hinauf gestiegen ist und die Tür auf schließt.
    Was lässt sich damit anfangen?
    Natürlich könnte man das Pferd scheu machen. An einer bestimmten Stelle, dort, wo die Kasaner Straße in die Dworjanskaja einmündet, führt der Weg dicht an einem Abhang vorbei.
    Das Pferd des Staatsanwaltes ist zwar ein ganz braves, aber wenn man ihm mit dem Blasrohr einen Bolzen mit einer ätzenden Tinktur in den Pelz brennt, geht es ab wie ein Husarenhengst.
    Trotzdem sehr riskant.
    Erstens könnte sie abspringen, sportlich genug ist sie ja. Schlimmstenfalls käme sie mit irgendwelchen Knochenbrüchen davon, was letztlich niemandem nützt. Oder alle beide brechen sich den Hals. Das hätte grade noch gefehlt.
    Von der Kronzeugenidee im Allgemeinen bis zu dem eigentlichen Geistesblitz war es nur ein kleiner Schritt.
    Die Idee kam ihm fast sofort, und sie war so gut, dass Jakow Michailowitsch vor Vergnügen quietschte.
    Er machte auf dem Absatz kehrt und

Weitere Kostenlose Bücher