Pelagia und der rote Hahn
Rosen an, die aus der Orangerie für den Bischof gebracht worden waren. Dabei fiel ihr die Schere in eine wassergefüllte Kristallvase. Sie streifte den Ärmel hoch, um die Hand ins Wasser zu tauchen – und plötzlich stockte Matwej Benzionowitsch das Herz. Niemals im Leben hatte er etwas so Sinnliches gesehen wie diesen schlanken, entblößten Arm, der da aus dem schwarzen Kuttenärmel hervorschaute und sich ins perlende Nass senkte. Sein Mund war plötzlich staubtrocken, er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und sah der Schwester ins Gesicht, als sei es das erste Mal: Wie weiß ihre Haut war, über und über wie mit goldenem Blütenstaub bedeckt, und die Augen voller sanftem Licht. . . Dieses Gesicht konnte man nicht eigentlich hübsch oder wenigstens ebenmäßig nennen, aber es war in jedem Falle und ohne jeden Zweifel wunderschön.
An diesem Tage verließ Berditschewski den Bischof sehr früh, indem er dringende Pflichten vorschob. Er war wie betäubt, er ging wie ein Betrunkener. Als er nach Hause kam, sah er seine Frau ängstlich an – wenn er sie plötzlich nicht mehr liebte? Würde er seine Maschenka jetzt nicht mehr durch die barmherzige Brille der Liebe sehen, sondern so, wie sie wirklich war: aufgequollen, geschäftig, mit grober Stimme?
Es kam noch schlimmer. Die Liebe zu seiner Frau war zwar nicht abhanden gekommen, aber sie nahm nicht mehr den zentralen Platz in seinem Leben ein.
Da Matwej Benzionowitsch ein Mensch mit redlichem Charakter und ausgeprägtem Verantwortungsgefühl war, quälte er sich fürchterlich. Wie gemein und schmutzig war das doch: Ein Mann von vierzig Jahren wendet sich von seiner Frau ab, die den Reiz der Jugend verloren hat, und verliebt sich in eine andere – als sei die Ehefrau schuld daran, dass sie dahinwelkte, indem sie ihm Kinder gebar und ihm ein friedliches, glückliches Leben bescherte!
An den beiden ersten Abenden nach der furchtbaren Erkenntnis mied der Staatsanwalt das Haus des Bischofs, weil er wusste, dass er Pelagia dort antreffen konnte.
Am dritten Tag jedoch hielt er es nicht mehr aus. »Ich werde Mascha niemals verlassen und niemals verraten«, sagte er sich, »aber man darf seinem Herzen nicht Gewalt antun. Zum Glück ist sie eine Nonne, und es ist unmöglich, doppelt unmöglich, ach was, im Quadrat unmöglich.«
Damit war sein Gewissen beruhigt, und er nahm seine Besuche beim Bischof wieder auf.
Er sah Pelagia an, er hörte ihr zu. Er war glücklich, auf eine bittere, grimmige Weise glücklich. So sehr glaubte er an die Unmöglichkeit dessen, dass er es sich zur Regel machte, die Nonne jeden Tag in seiner Kalesche nach Hause zu bringen. Diese Fahrten waren von nun an für Matwej Benzionowitsch das wichtigste Ereignis des Tages, seine geheime Wonne, und er wartete darauf schon vom frühen Morgen an.
Zehn Minuten Fahrt, zehn Minuten auf dem schmalen Sitz neben ihr. Manchmal, in einer Kurve, berührten sich ihre Ellenbogen. Pelagia natürlich bemerkte das gar nicht, aber der Staatsanwalt spürte dann, wie ihn von seinem vegetativen Nervenzentrum aus eine süße Woge durchlief.
Und dann gab es ja noch das Dessert: ihr die Hand zu reichen, wenn sie aus der Kutsche stieg. Nonnen tragen keine Handschuhe. Ihre Haut berühren – ganz, ganz leicht, und die Berührung ein wenig, kaum eine Sekunde lang, hinauszögern. Was war das Entzücken der Wollust im Vergleich zu diesen kurzen Augenblicken?
Die meiste Zeit während der Fahrt schwiegen sie. Pelagia schaute irgendwohin, und Berditschewski demonstrierte mit seinem ganzen Äußeren, dass er sich vollkommen auf das Lenken des Pferdes konzentrierte. Doch dabei träumte er, sie wären Mann und Frau und kehrten gerade von einem Besuch nach Hause zurück. Gleich würden sie ihre Wohnung betreten, und sie würde ihn flüchtig auf die Wange küssen und ins Bad gehen, um sich fürs Zubettgehen fertig zu machen . . .
***
In solchen Augenblicken hatte Matwej Benzionowitsch die zauberhaftesten Träume, vor allem wenn der Frühlingsabend sich von seiner besten Seite zeigte, so wie heute. Um sich die Illusion noch einen Augenblick zu erhalten, erlaubte sich der Staatsanwalt eine kleine Freiheit: Er verabschiedete sich nicht, wie gewöhnlich, schon bei der Kutsche von ihr, sondern begleitete sie noch bis zur Treppe.
So bereitete er sich ein wahrhaft orgiastisches Fest: Nicht genug damit, dass er leicht ihre Hand drückte, als er ihr aus dem Wagen half, nein, anschließend reichte er ihr auch noch den
Weitere Kostenlose Bücher