Pelagia und der rote Hahn
Gawrilowna, im Alter von achtzehn Jahren noch mit einem leidenschaftlichen und romantischen Gemüt ausgestattet, hatte nach der Geburt ihrer dreizehn Kinder diese ihre ursprünglichen Charaktereigenschaften restlos abgelegt und durch pragmatischere Leidenschaften und Sorgen ersetzt; wie man zum Beispiel die Familie mit dem Gehalt des Mannes durchbringt, das zwar recht anständig war, aber man bedenke – fünfzehn Seelen!
An der Schwelle zu ihrem dreißigsten Lebensjahr war Frau Berditschewskaja eine vollblütige, gesetzte Dame mit einem kompakten und stabilen Charakter, die ganz genau wusste, worauf es im Leben ankommt und was Unfug ist und folglich ignoriert werden kann.
Matwej Benzionowitsch schätzte diese Qualitäten seiner Frau sehr, tief in seinem Inneren jedoch entzückte ihn am meisten ihre für einen Mann unvorstellbare Bereitschaft zur Aufopferung für alle, die sie liebte – eine bedingungslose, selbstverständliche Liebe, die frei von jeder Affektiertheit war.
In Berditschewski selbst dagegen war die Glut des Schwärmers und Fantasten mit der Zeit nur immer stärker geworden. Wie jeden normalen Mann ließen ihn schöne und attraktive Frauen nicht kalt (und die hat es zu allen Zeiten immer im Überfluss gegeben), aber wenn ihm eine mal ganz besonders gefiel, bekam er es mit der Angst: Um Gottes willen, was ist, wenn ich mich auf einmal verliebe?, dachte er dann voller Panik, und sogleich malte ihm seine Fantasie die schrecklichsten Folgen aus, sah er die herzzerreißendsten Dramen auf sich zukommen, und er beeilte sich, einen möglichst großen Abstand zwischen sich und die gefährliche Person zu bringen. Nein, das war für einen achtbaren Mann schlichtweg unzulässig: sich in eine fremde Frau zu verlieben, wo er doch zu Hause eine treue Mascha mit dreizehn Sprösslingen hatte!
Und bis zu diesem Tage hatte der Herrgott Matwej Benzionowitsch ja auch geschont und ihn zumindest nicht übermäßig in Versuchung geführt, oder sagen wir so: Eine Versuchung, die dem Versuchten klar vor Augen liegt, ist ja genau genommen keine wirkliche. Insofern waren all die lasziven Circen, vor denen Berditschewski zurückschauderte, vermutlich gar keine echte Gefahr für ihn: Wer gewarnt ist, rüstet sich, heißt es ja. Aber wie es nun einmal ist, lauerte das Verderben auf den tugendhaften Berditschewski gerade da, wo er es am wenigsten erwartete.
Aber wer käme denn auch auf den Gedanken, die Versuchung könnte ihm in Gestalt einer Nonne begegnen? Niemand!
Erstens ist eine Nonne ja ein geschlechtsloses Wesen, sozusagen.
Zweitens war Schwester Pelagia überhaupt nicht sein Typ. Mollige Blondinen mit Grübchen ja, oder auch die kühlen Brünetten mit majestätischem Blick und zart geschwungenem, schutzlos weißem Hals, das waren die Frauen, bei denen Matwej Benzionowitsch normalerweise das Flattern kriegte. Aber die hier war rothaarig und voller Sommersprossen, und eine Brille hatte sie auch noch.
Drittens kannte er diese Person schon eine halbe Ewigkeit, sie war gewissermaßen ein guter Kamerad, folglich, wie es unter Männern ein weit verbreiteter Irrtum ist, im romantischen Sinne keine Gefahr. Dabei ereignen sich doch gerade in dieser Konstellation die meisten Dramen: Man kennt eine Frau schon wer weiß wie lange und hat sich nie für sie interessiert, und dann passiert irgendeine an sich vollkommen unbedeutende Kleinigkeit, und plötzlich ist da um sie herum so ein gewisser flirrender Dunst, eine Art leuchtende Aura. Man fasst sich ans Herz und stöhnt: Wie konntest du nur so blind sein, wo waren bloß deine Augen? Und schon ist es zu spät – man sitzt in der Falle – das Schicksal hat zugeschlagen, wie man so schön sagt.
Tja, und genau das war Berditschewski widerfahren – Dunst, Aura, Griff ans Herz.
Am Anfang war da nur die Bewunderung für ihren Verstand, ihre Tapferkeit und ihr Talent. Zu diesem Zeitpunkt hätte Matwej Benzionowitsch seine Gefühle für Pelagia als respektvoll und freundschaftlich bezeichnet, und er dachte keine Sekunde darüber nach, warum ihm in ihrer Gegenwart so wohl zumute war. Das war doch ganz normal unter Freunden, oder?
Aber dann, eines schönen, eines ganz besonders strahlenden Tages, kurz nach ihrer Rückkehr aus Stroganowka, ereignete sich jene berühmte verhängnisvolle Kleinigkeit. So deutlich hatte sich dieser Augenblick dem Staatsanwalt ins Gedächtnis eingeprägt, dass er nur die Augen zu schließen brauchte, um alles wieder vor sich zu sehen.
Pelagia schnitt gerade
Weitere Kostenlose Bücher