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Pelagia und der schwarze Moench

Pelagia und der schwarze Moench

Titel: Pelagia und der schwarze Moench Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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stürmte in das Palmenhaus und schrie mit verzweifelter, sich überschlagender Stimme:
    »Alexej Stepanowitsch! Aljoscha!«
    Stille.
    Er rannte durch das üppige Gesträuch und atmete mit offenem Mund die betörenden tropischen Düfte ein.
    »Aljoschenka! Sag doch etwas! Ich bin es, Pelagia!«
    Aus einer Ecke kam ein kalter Luftzug. Der junge Mönch wandte sich in diese Richtung und starrte in die Finsternis.
    Zunächst knirschten Glasscherben unter seinen Füßen, und erst dann entdeckte Pelagi das riesige Loch in der Glaswand des Palmenhauses.
    Er setzte sich auf den Boden und bedeckte das Gesicht mit den Händen.
    Oh, was für ein Unglück!
    Gulliver und die Liliputaner
    »Kommst du auch wieder? Bitte komm. Sonst holt er mich bald. Kommst du wieder?« Aljoscha Lentotschkins Stimme, besonders der kindliche, von schüchterner Hoffnung erfüllte Tonfall der letzten drei Worte, hatte sich ihm so deutlich ins Gedächtnis gebrannt, peinigte die Seele jetzt, da nichts mehr zu ändern war, so sehr, dass Pelagi sich die Ohren zuhielt. Es half nicht.
    Er hätte nicht den Verbrecher verfolgen, sondern den armen Alexej Stepanowitsch retten müssen, immer in der Nähe sein, ihn schützen und beruhigen müssen. Es war schließlich klar (und in dem Brief an Mitrofani beschrieben), dass der Übeltäter nicht von seinen Opfern abließ, sie quälte und zugrunde richtete. Wie hatte er die Bitte um Hilfe in Aljoschas Gestammel nicht erkennen können?
    Nachdem Pelagi sich eine Zeit lang gegrämt und mit Vorwürfen gequält hatte, erhob er sich seufzend, schüttelte eine Glasscherbe vom Saum und machte sich auf den Rückweg.
    Mochte Korowin am Morgen durch den Gärtner vom Verlust seines Patienten erfahren. Es war sinnlos, Zeit für überflüssige Erklärungen zu verschwenden, und außerdem war noch unklar, welche Rolle der Doktor in dieser ganzen Geschichte spielte. Es hatte jetzt auch keinen Zweck, sich über das Vorgefallene den Kopf zu zerbrechen, er drohte ohnehin zu bersten, der arme Kopf. Er sollte besser ins Bett gehen und versuchen zu schlafen. Guter Rat kommt über Nacht.
    Bald seufzend, bald schluchzend schleppte der Klosterbruder sich den nächtlichen Weg entlang zur Stadt. Er schlüpfte in den Pavillon, um sich aus einem männlichen Wesen wieder in ein weibliches zu verwandeln.
    Gerade hatte er das Käppchen und den Leibrock abgelegt und das zusammengerollte Kleid aus der Reisetasche gezogen, als plötzlich etwas Unglaubliches geschah.
    Einer der riesigen eisernen Schränke löste sich wie von Zauberhand von der Wand und bewegte sich geradewegs auf Polina Andrejewna zu. Sie saß in der Hocke, starrte von unten her wie versteinert auf dieses Wunder und konnte sich nicht einmal richtig erschrecken.
    Dabei war es wahrhaft erschreckend. Der Automat verdeckte den hellen Flecken der Tür, und Frau Lissizyna sah – nein, nicht einen Schrank, sondern eine riesige Silhouette in einer schwarzen Mönchskutte.
    Polina Andrejewna presste die Arme vor die Brust (sie trug in diesem Moment nur ein Hemd und die langen Unterhosen) und sagte mit zitternder Stimme:
    »Ich habe keine Angst vor dir! Ich weiß, dass du kein Gespenst bist, sondern ein Mensch!«
    Und dann machte sie etwas, wozu sie sich in ihrem frommen Nonnengewand wohl kaum entschlossen hätte: Sie richtete sich zu voller Größe auf, stellte sich auf die Zehenspitzen und schlug der alptraumhaften Erscheinung mit der Faust dahin, wo sich das Gesicht befinden musste – einmal und dann noch einmal und noch einmal.
    Frau Lissizyna hatte keine große Faust, aber sie war stark und kantig, doch die Schläge zeigten keinerlei Wirkung, Polina Andrejewna zerkratzte sich nur die Knöchel an etwas Stachligem, Hartem.
    Gigantische Pranken packten die Hände der Kämpferin und pressten sie gegeneinander. Eine Hand umklammerte Polina Andrejewnas zarte Handgelenke, die andere wickelte mit unbeschreiblicher Geschicklichkeit einen Strick darum.
    Obwohl sie die Hände nicht mehr einsetzen konnte, ergab sich Polina Andrejewna nicht – sie trat mit den Beinen und zielte dabei auf die Knie des Gegners, oder nach Möglichkeit auch höher.
    Der Angreifer ging in die Hocke, wobei er nur wenig kleiner war als die stehende Dame, und fesselte mit einigen raschen Bewegungen ihre Fußknöchel. Die Lissizyna wollte zurückspringen, doch da sie nicht mehr von einem Bein auf das andere treten konnte, fiel sie zu Boden.
    Nun konnte sie nur noch zur letzten weiblichen Waffe greifen – zum Schreien.

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