Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pelagia und der schwarze Moench

Pelagia und der schwarze Moench

Titel: Pelagia und der schwarze Moench Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
Vom Netzwerk:
ängstlich, krankhaft neugierig, halten ihre Zunge nicht im Zaum. Viele leben von Kindheit an innerhalb der Klostermauern und sind in der Seele Kinder geblieben. Bei ihnen muss man väterliche Strenge walten lassen.«
    Der Bischof bemerkte zurückhaltend:
    »Dann sollten Sie eben niemanden in den Mönchsstand aufnehmen, der keine Lebenserfahrung besitzt und sich selbst noch nicht erkannt hat. Für den Menschen gibt es noch andere Wege zur Rettung als den Mönchsdienst. Und von diesen Wegen gibt es eine unendliche Vielzahl. Nur dem Einfältigen dünkt, das Mönchtum sei der direkte Weg zum Herrn, doch in Gottes Welt ist der direkte Weg nicht immer der kürzeste. Ich möchte erneut an Eure Hochehrwürden appellieren: Lassen Sie sich nicht zu sehr durch die Strenge verführen. Christi Kirche soll nicht Furcht einflößen, sondern Liebe wecken. Sonst möchte man beim Blick auf unsere kirchlichen Angelegenheiten Gogol zitieren: › Es stimmt einen traurig, dass am Guten nichts Gutes ist.‹«
    Vater Witali lauschte der Belehrung mit starrsinnig gesenktem Kopf.
    »Und ich antworte Eurer Eminenz darauf nicht mit den Worten eines weltlichen Autors, sondern mit einem Wort des ehrwürdigen Mönchs Sossima Werchowski: › Wenn wir nicht mit den Heiligen sind, dann werden wir mit den Teufeln sein; einen dritten Ort gibt es für uns nicht.‹ Der Herr siebt unter den Menschen aus und entscheidet, wer gerettet werden und wer untergehen soll. Diese Auswahl ist hart und schrecklich, wie kann man da ohne Strenge vorgehen?«
    Polina Andrejewna wusste, dass der Bischof den seligen Mönch Sossima Werchowski besonders schätzte und der Einwand des Archimandriten ins Schwarze getroffen hatte.
    Mitrofani schwieg. Die übrigen Mönche blickten ihn erwartungsvoll an. Plötzlich fühlte Frau Lissizyna sich schrecklich unwohl: Sie allein saß hier in weltlicher Kleidung, der einzige helle Fleck inmitten all der schwarzen Kutten. Wie eine Meise oder ein Kanarienvogel, der sich in einen Rabenschwarm verirrt hatte.
    Nein, sagte sich Polina Andrejewna, ich bin aus demselben Holz geschnitzt. Und sie sind keineswegs Raben, sie sprechen über wichtige Dinge, sorgen sich um die ganze Menschheit.
    Was würde Mitrofani dem Klostervorsteher sagen?
    »Der Katholizismus lässt das Fegefeuer zu, weil es nur wenige vollkommen gute oder vollkommen schlechte Menschen gibt«, sprach der Bischof langsam. »Das Fegefeuer muss man natürlich im geistigen Sinne begreifen, als einen Ort der Reinigung von dem Schmutz, der an uns haftet. Unser orthodoxer Glaube hingegen erkennt das Fegefeuer nicht an. Ich habe lange nachgedacht, woher diese Unbeugsamkeit kommt, und ich bin zu einem Schluss gekommen: Es ist nicht Strenge, sondern größere Barmherzigkeit. Denn es gibt keine vollkommen schwarzen Sünder, deren Schuld nicht abgetragen werden kann, in jedem Übeltäter, selbst im allerverstocktesten, glimmt ein lebendiges Flämmchen. Und unsere orthodoxe Hölle nimmt im Unterschied zur katholischen niemandem die Hoffnung, selbst Judas nicht. Ich glaube, die Höllenqualen bei uns sind nicht für immer und ewig gedacht. Die orthodoxe Hölle ist auch ein Fegefeuer, weil jeder sündigen Seele dort ihre Frist zugewiesen ist. Es kann nicht sein, dass der Herr in Seiner Barmherzigkeit eine Seele auf ewig straft, ohne die Möglichkeit zur Vergebung. Wozu gibt es dann die Qualen, wenn nicht zur Reinigung?«
    Die Mönche von Neu-Ararat warfen sich gegenseitig Blicke zu, ohne etwas zu dieser Auffassung zu sagen, und Polina Andrejewna schüttelte den Kopf. Sie wusste, dass der Bischof bei Gesprächen über Religion bisweilen Gedanken ausdrückte, die als freidenkerisch oder sogar als häretisch aufgefasst werden konnten. Im engeren Kreis mochte das noch angehen, da war es nicht schlimm. Doch vor diesen Buchstabengelehrten? Sie würden ihn denunzieren und verleumden.
    Aber Mitrofani hatte seine Strafpredigt noch nicht beendet.
    »Ich mache Eurer Hochehrwürden noch weitere Vorwürfe. Ich habe gehört, dass Sie den weltlichen Machthabern Gefälligkeiten erweisen, wenn sie Sie besuchen. Man hat mir erzählt, dass Sie im vergangenen Jahr, als die Großfürstinnen eine Wallfahrt zu Ihnen machten, zu jedem Heiligtum einen Teppich ausgelegt haben und Ihr Chor ein Konzert für sie gegeben hat. Und das bei minderjährigen Mädchen! Und warum sind Sie höchstpersönlich zum Generalgouverneur gefahren und haben seine Sineosjorsker Datscha geweiht und sogar eine wundertätige Ikone

Weitere Kostenlose Bücher