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Pelagia und der schwarze Moench

Pelagia und der schwarze Moench

Titel: Pelagia und der schwarze Moench Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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dass Menschen von solchem Charakter sich nicht biegen können, sondern zerbrechen, wenn sie mit einem Phänomen konfrontiert sind, das ihr einfaches, klares Weltbild zerstört. Tausendmal Recht hattest du, meine Tochter, als du vom gordischen Knoten sprachst. Offenbar hat unser Oberst einen Knoten gesehen, den er nicht zu lösen imstande war. Seine Ehre gestattete ihm nicht, den Rückzug anzutreten, also wollte er den komplizierten Knoten mit aller Kraft zerschlagen. Und der Name dieses gordischen Knotens ist – Gottes Welt. . .«
    Der Bischof konnte nicht mehr an sich halten und brach in Tränen aus, aber da er aufgrund seiner Charakterstärke keine Neigung zum Weinen hatte und überhaupt nicht über die Gabe der Tränen verfügte, brachte er nicht sonderlich würdevolle Laute hervor: zunächst ein dumpfes Stöhnen, ein Krächzen im Hals und dann ein ausdauerndes Schneuzen ins Taschentuch. Doch die Unbeholfenheit dieser Klage um eine verlorene Seele wirkte auf die Anwesenden stärker als jedes Schluchzen: Matwej Benzionowitsch musste blinzeln und zog ein riesengroßes Taschentuch hervor, und Schwester Pelagia machte die männliche Knauserei beim Weinen wett, indem sie unverzüglich in Tränen zerfloss.
    Der Bischof fasste sich als Erster wieder.
    »Ich werde für Felix Stanislawowitschs Seele beten. Allein, in meiner Hauskapelle. In der Kirche darf man für einen Selbstmörder nicht beten. Auch wenn er selbst Gott zurückgewiesen hat und es keine Vergebung für ihn geben wird, er verdient trotzdem ein gutes Angedenken im Gebet.«
    »Es gibt keine Vergebung?« schluchzte Pelagia. »Keinem Selbstmörder wird Vergebung gewährt? Niemals, niemals, selbst in tausend Jahren nicht? Wissen Sie das ganz sicher, Eminenz?«
    »Aber ja – so sagt es die Kirche, schon von alters her.«
    Die Nonne trocknete ihr weißes, mit blassen Sommersprossen übersätes Gesicht und zog konzentriert die Augenbrauen zusammen.
    »Aber wenn jemand die Bürde des Lebens nicht mehr erdulden kann? Wenn ein Mensch unerträglichen Kummer hat oder eine quälende Krankheit, oder wenn er von Folterknechten gequält und zum Verrat gezwungen wird? Wird auch diesen nicht vergeben?«
    »Nein«, versetzte Mitrofani streng. »Deine Fragen zeugen von Kleingläubigkeit. Der Herr weiß, wer welche Prüfungen ertragen kann, und er wird keine einzige Seele über die Maßen prüfen. Wem er aber eine schwere Pein sendet, dessen Seele erweist sich als besonders standfest, und dem Grad der Standfestigkeit entspricht die Prüfung. Alle heiligen Großmärtyrer waren so. Keiner von ihnen fürchtete die Folter, keiner hat Hand an sich gelegt.«
    »Aber Heilige gibt es einen auf eine Million. Und was ist mit denen, die sich nicht aus Furcht oder Schwäche, sondern um ihrer Nächsten willen zugrunde richten? Ich erinnere mich, dass Sie aus der Zeitung vorgelesen haben, es ging um den Kapitän eines Dampfers, der bei einem Schiffsunglück seinen Platz im Rettungsboot einem anderen überließ und dadurch mit dem Schiff gesunken ist. Sie waren ganz begeistert davon und haben ihn gelobt.«
    Berditschewski seufzte gequält, weil er schon im Voraus wusste, wie diese unangebrachte Diskussion enden würde. Pelagia würde den Bischof mit ihren Fragen und Argumenten in Rage bringen, es würden Schimpfworte fallen und sinnlos Zeit verloren gehen. Dabei hätten sie über Wichtigeres zu reden.
    »Ich war begeistert als Bürger der irdischen Welt. Aber als geistliche Person, die verpflichtet ist, sich um die Unsterblichkeit der Seele zu kümmern, gräme ich mich über eine solche Handlung und verurteile sie.«
    »So, so«, blitzte die Nonne mit scharfem Blick, um dann dem Bischof einen Schlag zu versetzen, den die Briten wohl als unsportlich bezeichnet hätten. »Würden Sie auch Iwan Sussanin verurteilen, der freiwillig vor die polnischen Säbel trat, um die Zarendynastie zu retten?«
    Mitrofani wurde allmählich ärgerlich und fuhr sich mit den Fingern durch den Bart.
    »Iwan Sussanin hat vielleicht gehofft, er könne im letzten Moment den Feinden entkommen und in den Wald fliehen. Solange es Hoffnung gibt, und sei sie noch so klein, ist es kein Selbstmord. Wenn Soldaten in eine gefährliche Attacke oder sogar, wie es heißt, › in den sicheren Tod‹ gehen, hofft doch ein jeder von ihnen auf ein Wunder und fleht zu Gott darum. In der Hoffnung liegt der ganze Unterschied, in der Hoffnung! Solange die Hoffnung lebt, lebt auch Gott. Du bist eine Nonne, du solltest das

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