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Pelagia und der schwarze Moench

Pelagia und der schwarze Moench

Titel: Pelagia und der schwarze Moench Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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Hut. Er muss also noch ganz normal und anständig bekleidet hineingegangen sein, bevor er dann in völliger geistiger Umnachtung wieder hinauslief und offenbar direkt zum Haus von Donat Sawwitsch rannte.«
    Erst jetzt fiel dem Oberst der letzte Brief von Alexej Stepanowitsch wieder ein – stimmt, darin hatte er vom Häuschen des Bakenwärters geschrieben und von seiner Absicht, nachts dahin zu gehen. Felix Stanislawowitsch hatte diese Stelle übrigens nur überflogen, weil Lentotschkin beim Verfassen seines dritten Berichts offenkundig bereits völlig durchgedreht war und nur noch Blödsinn schwafelte.
    Jetzt aber stellte sich heraus, dass es gar nicht so ein Blödsinn gewesen war. Das heißt, was die Mystik und die magische Formel angeht, natürlich schon, doch irgendetwas war in jener Nacht in der Hütte passiert. Was hatte er vorhin gesagt? »Geh hin, zu der Hütte auf Hühnerbeinen. Um Mitternacht. Dort wirst du schon sehen. Pass nur auf, dass es dich nicht zusammenschnürt, sonst bricht dir das Herz.« Zugegeben, den letzten Satz konnte man dem Wahnsinn zuschreiben, aber was den Ort und die Zeit anging, lohnte es sich, darüber nachzudenken.
    Und in diesem Moment begann sich im Kopf des Polizeimeisters eine Idee zu regen.
    ***
    Zur Nacht war der Plan ausgereift, und er erschien so unleugbar zweckdienlich und einfach, dass er die vorherige Disposition – dem hemmungslosen Wassilisk auf der Landzunge aufzulauern – vollkommen verdrängte.
    Ein weiterer nicht unwichtiger Umstand trug dazu bei, dass Lagrange seine Absichten endgültig änderte: Nach Sonnenuntergang herrschte auf der Insel Finsternis, und es war klar, dass die Sichel des zunehmenden Mondes, nicht größer als ein abgeschnittener Fingernagel, noch zu klein und zu schmal war, um die Landzunge ausreichend zu beleuchten, was bedeutete, dass es keinen vernünftigen Grund gab, dort im Hinterhalt zu sitzen.
    Eine andere Sache war die baufällige Hütte, bei der ein Kreuz mit drei Querbalken in die Scheibe geritzt war (bei der Rückkehr in sein Hotel hatte der Oberst den Brief mit größter Aufmerksamkeit gelesen und sich alle Einzelheiten gemerkt). Die Nacht, in der der »junge Hüpfer« – mit für ihn überaus betrüblichen Konsequenzen – die Hütte aufgesucht hatte, war, wie Lagrange bei den Einwohnern herausgefunden hatte, mondlos gewesen, was aber nicht verhindert hatte, dass geschah, was geschah. Das bedeutete, es stellte keinen Hinderungsgrund dar, wenn der Mond nicht schien.
    Also: Er würde genau um Mitternacht dort eintreffen, so wie der Geisteskranke es geschrieben hatte, die magische Formel sprechen und sehen, was passiert. Das war eigentlich der ganze Plan.
    Ein anderer wäre vielleicht davor zurückgeschreckt, sich auf eine so undurchsichtige, in keinem Reglement, in keiner Dienstanweisung beschriebene Unternehmung einzulassen, aber nicht so Oberst Felix Stanislawowitsch Lagrange.
    Als der Polizeimeister in der undurchdringlichen Finsternis auf die schreckliche Hütte zuging (es war genau fünf Minuten vor Mitternacht), schlug sein Herz gleichmäßig, seine Hände zitterten nicht, und sein Schritt war fest.
    Rings umher aber war es unheimlich. Fern im Wald schrie ein Uhu, vom Wasser her wehten Kälte und Grauen, und ansonsten herrschte absolute Totenstille, sodass man den eigenen Herzschlag hören konnte, als hielte man sich die Ohren zu. Als sich Lagranges Augen an die Finsternis gewöhnt hatten, machten sie weiter vorn die windschiefen Umrisse der aus Balken gezimmerten Hütte aus, und es schien dem Oberst unglaublich, dass hier noch vor wenigen Tagen eine junge, gewiss glückliche Familie gewohnt hatte, die ihren alltäglichen Verrichtungen nachgegangen war und ihr erstes Kind erwartet hatte. Nichts Lebendiges, Warmes, Freudiges konnte an einem solchen Ort gedeihen.
    Felix Stanislawowitsch erschauerte – ihn fröstelte plötzlich, obwohl er ein wollenes Wams unter dem Jackett und der Weste trug. Für alle Fälle (weiß der Teufel für welche) zog er seine Smith & Wesson unter der Achsel hervor und steckte sie unter den Gürtel.
    Die Tür war mit zwei über Kreuz gelegten Brettern vernagelt. Der Polizeimeister steckte die Finger in den Spalt hinter dem einen Brett, zog aus Leibeskräften daran und wäre beinahe hingefallen, so leicht sprangen die Nägel aus dem morschen Holz. Ein widerwärtiges Splittern und Knirschen durchbrach die Stille, mit heftigem Flügelschlag erhob sich ein großer Vogel vom Dach.
    Lagrange entdeckte das

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