Pelbar 2 Die Enden des Kreises
solange keine physische Mißhandlung im Protokoll ver-merkt ist oder der Ausgeschlossene mit dieser Be-gründung Hilfe erbittet.
Solche Situationen sind niemals einfach. Ich würde gerne verlangen, daß Sagan und Ahroe mit dem Frie-denskuß wieder zu ihren Familien zurückgehen, ehe wir die Sitzung vertagen.«
Aber Ahroe war nicht mehr da. Niemand hatte sie fortgehen sehen, sie mußte während des Protests der Nordrätin hinausgeschlüpft sein. Die Protektorin mußte die Sitzung ohne die Zeremonie beenden. Das beunruhigte sie, denn es war mehr als eine Formali-tät. Es war ein heiliges Versprechen. Nun, wenn Ahroe zurückkehrte, würde sie den Rat erneut einbe-rufen, wenn nötig nur für den Kuß. Das wäre die Sache wert. Sie verließ den Saal und runzelte die Stirn, während sie sich leicht auf Druk, ihren Diener stützte.
Die restlichen Ratsmitglieder folgten ihr, meistens teils schweigend. Die Stadt war klein genug, um durch Stels Verschwinden tief beunruhigt zu sein. In diesem Augenblick, das wußten sie alle, war er drau-
ßen in der dunklen Winternacht, irgendwo, nicht zu weit entfernt, aber allein. Obwohl er sich wegen der Stämme keine Sorgen zu machen brauchte, war es für einen von Geburt an umfriedet lebenden Pelbar doch kein sehr erfreulicher Gedanke, außerhalb der schüt-zenden Mauern seiner Stadt zu sein.
DREI
Ahroe hatte zugesehen, als die Gardisten und die drei Shumai wieder über die Eisbrücke zurückkamen und in flottem Tempo das Ufer hinauf auf Pelbarigan zu-gingen, um Bericht zu erstatten. Hagen und seine beiden Männer betraten die Stadt nicht, weil sie ihnen mit ihrer Größe und Eingeschlossenheit deutlich Unbehagen verursachte, aber die Gruppe unterhielt sich leise am Tor. Die Gardisten brachten ihnen Getränke und ein Geschenk von ausgepichten Körben, die das Wasser halten konnten und doch Reisen gut über-standen – besser als Keramik, die die üblichen, harten Wanderungen der Shumai nicht, lange vertrug.
Ahroe hüpfte und sank gleichzeitig das Herz, als sie hörte, daß Stel am Leben war. Vielleicht konnte sie ihn zurückholen. Sie hatte immer noch die Leidenschaft der Braut, obwohl ihr deren Erfüllung in letzter Zeit verwehrt worden war. Sie sehnte sich nach seinen geistreichen Bemerkungen, seinem schrulligen Lächeln und seinen weichen, grauen Augen. Und doch bedeutete seine Flucht, daß er nicht nur sie be-wußt zurückgewiesen, sondern auch noch alle ge-täuscht hatte. Kurz stieg Zorn in ihr auf und löschte ihre Hoffnungen aus. Stel hatte ein anderes Motiv, die Vision eines Lebens, das über ihr gemeinsames Leben hinausging, über Pelbarigan, ein Aspekt seiner selbst, den er nie angedeutet hatte.
Bei diesem Gedanken krampfte sich ihr ganzes Pelbar-und Dahmen-Gefühl für weiblichen Stolz zusammen. Einen Augenblick lang brachte sie ein schwindelerregender Zorn beinahe ins Taumeln. Sie würde ihn verfolgen und ihn zurückbringen, vielleicht sogar nur, damit sie ihn dann vor allen zu-rückweisen konnte. War sie nicht beim Kampf in Nordwall dabeigewesen? War sie nicht selbst dorthin gelaufen und hatte in der Linie der Gardisten gestanden, die die geschlagenen Tantal an der Flucht hin-derten? Stel hatte nichts dergleichen getan. Er war Bauhandwerker, Steinmetz, ein Stadtmensch.
Andererseits, was würde sie zu ihm sagen, wenn sie ihn eingeholt hatte? Und was, wenn sie es nie konnte – da draußen auf der riesigen, schneebedeck-ten Prärie, in den kahlen Wäldern? Sie wußte eigentlich wenig von der Wildnis, die am westlichen Flußufer begann. Wenn Stel sich weigerte, mit ihr zu gehen, was würde sie tun? Würde sie ihr Kurzschwert herausholen und ihn zwingen mitzukommen? Wenn er sich dann immer noch weigerte, wie wollte sie ihn zwingen? Würde sie ihn verletzen? Und wenn er mitkam, was dann? Was war mit der Familie?
Nach Nordwall war er sicher nicht gegangen. Das wäre einfach gewesen. Sie begann zu vermuten, daß er in Richtung Westen aufgebrochen war. Er hatte Jestaks Erzählung begierig und gespannt gelauscht. Er hatte den Shumai offensichtlich fasziniert zugehört und war mit einer Bande nach der anderen am Flußufer gesessen, hatte sie ausgefragt, mit seinen geschickten Händen ihre Ausrüstung repariert und ihnen dabei ihre Lebensgeschichten entlockt. Vieles davon hatte er sogar Sease für ihre Aufzeichnungen berichtet. Ein leichtes Angstgefühl überkam Ahroe.
Vielleicht wußte er mehr vom Leben im Westen, als ihr klar gewesen war. Sie erinnerte sich, daß er ihr von
Weitere Kostenlose Bücher