Pelbar 4 Der Fall der Muschel
nur zweimal im Nachtviertel vorbeikamen, weil sie so unzugänglich war. Aber jetzt, wo die Garde fast keine Leute mehr hatte, kamen hier selten Gardisten vorbei, und falls sich wirklich einer blicken ließ, brauchte sich Brudoer nur unter die Wölbung des Turms zu rollen, um völlig unsichtbar zu sein.
Er lehnte schon eine ganze Weile dort und dachte über seine seltsame Situation nach, als er weit unten ein schwaches Geräusch hörte. Er beugte sich vor und schaute hinunter. In der Dunkelheit sah er nichts, hörte jedoch Geräusche, leise, aber doch zahlreich.
Dann vernahm er eine leise Stimme. Etwas kratzte ein wenig an der Wand. Etwas anderes stieß dagegen.
Eine Streitmacht versuchte, die Mauer zu erklettern.
Brudoer schaute noch einen Augenblick hin, dann lief er zur Treppe.
Warret und Bival lagen sich, völlig erschöpft vom Wasserheben, in den Armen, als Brudoer im Dunkeln in ihr Zimmer platzte. Seine Hand berührte etwas.
Ein Bein. Bival fuhr auf. Hände tasteten hastig ihren Körper hinauf und rüttelten sie an den Schultern.
»Warret, Warret«, flüsterte eine Stimme drängend.
Warret regte sich, wuchtete sich dann hoch, schob Bival zur Seite und tastete nach außen. Brudoer trat zu ihm heran und drückte sich gegen ihn. »Warret, ich bin's. Brudoer. Komm! Du mußt die Gardisten alarmieren. Da versucht jemand, die hintere Mauer zu ersteigen. Hinter dem Breiten Turm.«
»Was? Brudoer? Was?«
»Es ist wahr. Wach auf! Tu etwas! Ich muß hier weg.« Brudoer schüttelte ihn noch einmal, dann riß er sich los, als Warret aufstand. Brudoer ertastete sich den Weg zurück zur Tür und verschwand nach drau-
ßen.
»Was, in Avens ...«
»Geh, Warret! Vielleicht hat er recht.« Bival schwang sich aus dem Bett, tastete sich durch den Raum, blies den Zunder an und entzündete eine Kerze. Warret warf sich eine Tunika über, rannte zur Tür hinaus und die breite Treppe hinauf und schrie dabei: »Gardisten! Gardisten!«
Eine Fackel erschien, ehe er die Terrassenebenen erreichte, eine Gardistin mit gezogenem Kurzschwert erwartete ihn. »Zur hinteren Mauer, schnell!« brüllte Warret und rannte an ihr vorbei. Die Gardistin steckte ihr Schwert ein und folgte ihm mit lodernder Fackel. Als Warret zur Mauer kam, sah er, wie ein Arm darübergriff. Er packte ihn, drehte ihn herum und stieß ihn hinunter. Der Arm kam wieder und klammerte sich fest, aber die Gardistin direkt hinter Warret beugte sich vor und stieß mit ihrer Fackel nach dem Gesicht des Mannes. Mit einem Schrei ließ der Mann los, während der Gardistin ein Pfeil durch den Hals fuhr, und sie mit einem röchelnden Schrei nach hinten fiel.
Um Hilfe schreiend riß Warret der Sterbenden das Kurzschwert aus der Hand und rannte zurück, um nach einem anderen Arm zu hacken, der weiter unten auf der Mauer erschien. Er wich schnell zurück, als mehrere Pfeile von unten heraufzischten. Aber von innen erschienen weitere Fackeln, als die gesamte diensthabende Truppe eintraf. Wenn sie sich sehen ließen, während sie an ihre Posten eilten, fuhr augen-blicklich ein Hagel Pfeile herauf. Endlich brachte ein Gardist eine Bogenschützenwand – eine hölzerne Barriere mit einem weidenblattförmigen Loch darin – und Gardisten schleuderten ölgetränkte Fackeln über die Mauer, während der Gardehauptmann die Bogenschützenwand über den Rand neigte, um hinun-terzuschauen. Unten konnte er Männer sehen, die herumhasteten, um die Flammen zu löschen, die sich schon im Gras ausbreiteten. Nachdem zwei weitere Bogenschützenwände eingetroffen waren, begannen die Gardisten, die Angreifer mit Pfeilen zu beschie-
ßen.
»Peshtak«, rief der Gardehauptmann gellend.
»Mindestens dreihundert. Aven sei Dank, daß du wach warst, Warret. Wie hast du sie nur gefunden?
Wer hätte gedacht, daß sie es auf der höchsten Seite versuchen würden. Schau dir nur dieses Gerüst an.«
»Ich ... hm«, sagte Warret.
»Manchmal sind wir zu müde, um schlafen zu können, und dann kommen wir heraus und schauen in die Nacht«, antwortete Bival von hinten. Warret wirbelte herum und starrte sie an.
In diesem Augenblick fuhr ein Pfeil direkt in das Guckloch des Gardehauptmanns und verfehlte knapp ihr Gesicht; sie zuckte zurück. »Wau«, murmelte sie mit bebenden Lippen. »Schießen können sie.«
Drei weitere Bogenschützenwände wurden aufgestellt, und auch aus den schmalen Schießscharten des spiralförmigen Turms im Norden flitzten nun Pfeile.
Unten wurde ein Horn geblasen, und die
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