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Pellkartoffeln und Popcorn

Pellkartoffeln und Popcorn

Titel: Pellkartoffeln und Popcorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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Wollhosen zu tragen und regelmäßig zu schreiben. Und sie hatte Tante Hanne gebeten, ein Auge auf mich zu haben, was ihr auch bereitwillig zugesichert wurde.
    Am späten Vormittag brachten Christa und ich Omi zum Bahnhof. Gerdas Mutter fuhr auch zurück, und so würden die beiden Damen genügend Zeit haben, sich alle Schrecknisse auszumalen, die uns Zurückbleibenden erwarteten.
    Zum Schluß flossen auf allen Seiten doch noch ein paar Abschiedstränen. Aber kaum war der Zug abgefahren, da tauchten schon wieder Gänse auf, und wir waren fürs erste hinreichend beschäftigt.
    Mit der Eingewöhnung klappte es dann aber doch nicht so ganz reibungslos, wie die Beteiligten sich das anfangs gedacht hatten. Besonders bei mir rächten sich Omis jahrelangen Bemühungen, mich zur totalen Unselbständigkeit zu erziehen. War mir früher irgendwo ein Knopf abgerissen, so hatte Omi ihn entweder sofort angenäht oder mir ein anderes Kleid übergezogen, selbst wenn der Knopf gar nichts zu halten hatte und nur dekorativen Zwecken diente. Kam ich jetzt mit einem ähnlichen Problem zu Frau Wiemer, dann empfahl sie mir, entweder den Knopf selbst anzunähen oder eine Sicherheitsnadel zu nehmen. Das eine konnte ich nicht, das andere widersprach großmütterlichen Anweisungen. Im Laufe der Zeit lernte ich zwar nicht Nähen, aber wenigstens den Umgang mit Sicherheitsnadeln. Weiterhin lernte ich, daß man Kartoffelbrei mit dem Löffel ißt, Kuchen mit der Hand. und Kotelett mit den Fingern. Als Lehrmeister fungierten meine beiden Pflegebrüder. Omi hatte von deren mangelhaften Tischmanieren nichts mitbekommen, weil die Knaben während ihrer Anwesenheit wohlweislich gesondert abgefüttert worden waren. Ich lernte weiterhin, daß ein Bad pro Woche genügt. Berücksichtigt man die Tatsache, daß dieses Bad in einer mittelgroßen Zinkwanne stattfand, die mitten in die Küche gestellt und mit lauwarmem Wasser gefüllt wurde, dann erscheint es begreiflich, wenn diese Prozedur auf den Sonnabend beschränkt blieb. Immerhin genoß ich den Vorzug, als erste in die Wanne steigen zu dürfen. Gerhard und Siegfried kamen nach mir dran und ins selbe Wasser. Aber wie Herr Nawrotzki schon festgestellt hatte, passen sich Kinder schnell an. Und sie passen sich ganz besonders schnell an, wenn sie alles tun dürfen, was ihnen bisher verboten war. Ich brauchte keine Schleife mehr zu tragen und durfte meine Haare zu Zöpfen wachsen lassen, die allerdings nie über das Rasierpinsel-Stadium hinauskamen. Ich konnte barfuß laufen, wann ich wollte; niemand kontrollierte, ob ich mir die Zähne putzte, und wenn ich mir mal wieder das Knie aufgeschlagen hatte, wurde ein einfaches Pflaster draufgepappt und keine Jodsalbe, die so ekelhaft brannte. Aber dafür fing mein Bein zu eitern an; ich mußte zum Arzt, und von dem bekam ich nicht nur reines Jod aufgepinselt, sondern auch noch eine Tetanusspritze.
    Es gab aber ein paar Dinge, an die ich mich nie gewöhnen konnte. Das war einmal Altchen. Sie hatte sich lediglich Omi zu Ehren aus ihrem Bett erhoben und richtig angezogen, aber sofort nach deren Abreise hüllte sie sich wieder in ein lila Nachthemd, zog ein kakaobraunes Bettjäckchen darüber und thronte fortan in einem der beiden Ehebetten. Diese Position gestattete ihr die uneingeschränkte Teilnahme am Familienleben, zumal sämtliche Türen offen bleiben mußten. Abends zog sie endlich in ihr eigenes Kämmerchen, weil das Bett von den beiden Jungs beansprucht wurde. Weshalb Altchen ständig im Bett saß, habe ich nie herausgefunden. Abgesehen von der Gelbsucht, die ihr angeblich schon vor einigen Jahren bescheinigt worden war, fehlte ihr überhaupt nichts. Sie hatte einen gesegneten Appetit, eine geregelte Verdauung (letztere fand hinter verschlossenen Türen auf einem Nachttopf statt), und wenn sich Altchen besonders wohl fühlte, sang sie lauthals ›Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern…‹
    Ich hatte auch für meinen ›Pflegebruder‹ Siegfried nicht viel übrig. Mit Gerhard kam ich recht gut aus. Nachdem er seine anfängliche Scheu überwunden hatte, brachte er mir eine ganze Menge nützlicher Dinge bei, die für das Landleben wichtig sind, unter anderem den Umgang mit Gänsen. Ich lernte den Unterschied von Dill und Petersilie kennen – beides wuchs im Garten, und ich hatte bisher immer das verkehrte angebracht – und die Behandlung von Hühnern, denen ich die Eier wegnehmen sollte. Ich begriff, daß die als ›Allesfresser‹ bekannten Schweine

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