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Pellkartoffeln und Popcorn

Pellkartoffeln und Popcorn

Titel: Pellkartoffeln und Popcorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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wenigstens sprach man hier noch deutsch. Oder doch zumindest eine Abart davon. Wir verstanden zwar nicht alles, aber wir begriffen, daß wir uns erst einmal einigermaßen übersichtlich aufstellen sollten. Das kannten wir ja schon! Und dann entdeckten wir plötzlich die vielen Menschen, die sich bisher im Hintergrund gehalten hatten und jetzt langsam näherrückten. Mir wurde nun doch ein bißchen mulmig, denn irgendwelche von denen mußten ja wohl meine Pflegeeltern sein.
    Ein beleibter Mann mit Bürstenhaarschnitt und ausgefransten Hosenträgern stellte sich als Bürgermeister vor, der sich freue, im Namen der ganzen Einwohner von Harteck die Berliner Kinder begrüßen zu dürfen, und nun werde man auch gleich zur Verteilung schreiten. Was dann kam, erinnerte an die Versteigerung von preisgekröntem Zuchtvieh!
    »Hier haben wir zwei Geschwister. Junge zehn Jahre, Mädchen acht. Wer nimmt sie?«
    »Die nehme ich.« Damit löste sich aus der Menge eine junge Frau und zog die beiden Auserwählten zur Seite.
    »Mutter mit Kind, Mädchen, neun Jahre.«
    »Können zu mir kommen.«
    »Mädchen, zehn Jahre, zwei Brüder von sechs und acht.«
    »Die Jungs nehme ich, das Mädel muß woanders hin.« Die Bedauernswerte fing jämmerlich zu schluchzen an.
    »Das geht nicht, die müssen wir schon zusammenlassen. Wilhelm, du wirst doch für so eine halbe Portion noch Platz haben.«
    »Na schön, man ist ja kein Unmensch. Dann muß sie eben bei Oma schlafen.«
    Der Herr Bürgermeister blätterte wieder in seiner Liste, die ihm offenbar als Gedächtnisstütze diente, und trompetete weiter:
    »Zwei Mädchen, neun Jahre alt, Freundinnen, möchten gerne zusammenbleiben. Außerdem Begleitperson, fährt aber wieder zurück.« Damit waren wir gemeint. Christa drückte ganz fest meine Hand, als zwei Damen auf uns zukamen. Eine von ihnen fragte mich sofort: »Magst du Kinder?«
    Eingedenk der Tatsache, daß ich mir immer Geschwister gewünscht hatte, antwortete ich bereitwillig: »Doch, sogar sehr.«
    »Na, dann kommst du am besten zu uns. Deine Freundin geht zu meiner Schwägerin«, fügte sie hinzu. »Aber keine Angst, wir wohnen im selben Haus.«
    Omi musterte unsere beiden Pflegemütter gründlich, dann flüsterte sie mir zu: »Scheinen ja ganz ordentliche Leute zu sein.«
    Endlich waren auch die anderen Ankömmlinge aufgeteilt worden, und wir marschierten quer über die Schienen zu einem staubigen Feldweg, auf dem mehrere Leiterwagen und eine Kutsche standen. »Das Gepäck wird morgen früh geholt. Die Kinder müssen jetzt erst mal in die Betten. Und daß mir morgen alle in die Schule kommen, damit wir den Papierkram erledigen können. Ich habe dem Fräulein schon gesagt, daß ich die Klassenräume dazu brauche. Meine Amtsstube ist zu klein.«
    Damit schwang sich der Bürgermeister in die Kutsche, hievte sein Pflegekind neben sich auf den Sitz und fuhr davon. Wir anderen kletterten auf die Leiterwagen und zockelten hinterher. Halb schlafend wurde ich von Omi in ein Bett gepackt, und um die Mittagsstunde des nächsten Tages wachte ich endlich wieder auf.
    Mein Bett stand in einer Art Alkoven. Zunächst sah ich nur geblümte Vorhänge, und als ich die ein bißchen zur Seite schob, entdeckte ich einen Eßtisch mit sechs Stühlen, ein großes Büfett, eine Truhe mit etwas Gipsernem drauf, eine Standuhr und eine kleine Kommode, die überhaupt nicht zur Einrichtung paßte und offensichtlich erst vor kurzem in das Zimmer gestellt worden war. Darauf lag mein kleiner Handkoffer.
    Neben der Standuhr befand sich eine Tür, dahinter hörte ich Stimmen. Ich wagte aber nicht, die Tür zu öffnen, also hustete ich laut.
    Omi hatte mir schon des öfteren demonstriert, daß Räuspern oder Husten in gewissen Situationen angebracht ist, wenn man zum Beispiel ein Zimmer betritt und jemand ist schon drin, oder wenn ein Besucher seine volle Kaffeetasse über den Tisch gekippt hat. Ich habe zwar nie ganz begriffen, weshalb man husten soll, anstatt ein neues Tischtuch zu holen, aber Omi meinte, man könne durch dieses Ablenkungsmanöver die Aufmerksamkeit auf sich lenken und dem Gast ein paar peinliche Minuten ersparen. Das Husten wirkte jedenfalls. Die Tür ging auf, und Omi spazierte herein, Schürze vorm Bauch und Küchenmesser in der Hand.
    »Na, endlich ausgeschlafen? Nun komm erst mal mit, damit du dich waschen kannst. Die sanitären Verhältnisse sind katastrophal, fließendes Wasser gibt es nur in der Küche, ein Bad existiert überhaupt nicht, und

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