Pellkartoffeln und Popcorn
Eßzimmer statt, also eigentlich in meinem Schlafzimmer, und Omi registrierte befriedigt, daß es Porzellangeschirr gab, Servietten und sogar richtiges Besteck, wenn auch nur aus Neusilber. Zum Glück ahnte sie nicht, daß dieser Aufwand nur ihr zu Ehren betrieben wurde. Später aßen wir ohne Servietten in der Küche und benutzten Steingut-Teller.
Zunächst wurde ich über die Familienverhältnisse aufgeklärt. Da gab es einen Herrn Wiemer, der aber Soldat und in Rußland war. Frau Wiemer versorgte Haushalt, Vieh und Garten, und, wenn sie Zeit hatte, auch ihre beiden Söhne. Gerhard war fünf Jahre alt und lispelte, Siegfried war zweieinhalb und sprach noch kein Wort. Das war der mit der Rotznase. Den Haushalt komplettierte die Indianerfrau, die ›Altchen‹ gerufen und mir als Frau Wiemers Mutter vorgestellt wurde. Sie litt an chronischer Gelbsucht, die angeblich ungefährlich und nicht ansteckend war, der sie aber den ockergelben Teint zu verdanken hatte.
Nach dem Essen wurde ich wieder gekämmt, weil wir nun zu Nawrotzkis gehen wollten, bei denen Omi bis zu ihrer Abreise untergekommen war. Ich hatte mir sowieso schon den Kopf zerbrochen, wo sie wohl geschlafen haben könnte, denn außer den mir schon bekannten Räumen gab es in unserem Haus nur noch ein kleines Zimmerchen, in dem Altchen hauste.
Wir zogen die Dorfstraße entlang, weidlich bestaunt von allen ansässigen Bewohnern, bogen in einen kleinen Seitenweg ein und standen vor einem weißgekalkten Häuschen mit grünen Fensterläden und vielen Blumentöpfen neben dem Eingang. Ein verhutzeltes Mütterchen öffnete die Tür und führte uns in eine helle saubere Küche und dann in ein urgemütliches altmodisches Wohnzimmer. Ein nicht weniger verhutzelter Opa erhob sich vom Sofa und erkundigte sich sofort: »Na, Frau Wernecke, wie gefällt Ihnen unser kleines Dorf?«
Omi erklärte höflich, daß es ihr recht gut gefalle; aber sie konnte sich doch nicht verkneifen, auf die offensichtliche Rückständigkeit hinzuweisen. »Wenn man aus der Großstadt kommt, ist hier alles eben doch ein bißchen – hm, naja, ein bißchen sehr einfach.« (Das Wort primitiv hatte sie gerade noch herunterschlucken können)
Herr Nawrotzki pflichtete ihr freundlich bei. »Für Städter ist das nichts, aber wir sind’s ja nicht anders gewöhnt; und Ihre Enkelin wird sich auch daran gewöhnen. Kinder passen sich schnell an.« Frau Nawrotzki rückte mit Bohnenkaffee an – meiner wurde bis zur Unkenntlichkeit mit Milch verdünnt –, und dann platzte Omi heraus: »Wissen Sie, ich würde ja viel beruhigter nach Hause fahren, wenn ich meine Evelyn bei Ihnen lassen könnte. Bei den Wiemers gefällt es mir ganz und gar nicht.«
Die beiden alten Leutchen sahen sich an und nickten mit den Köpfen. »Wir hatten uns ja auch gemeldet, aber man wollte uns kein Kind mehr geben, weil wir zu alt sind. Mein Mann ist zweiundsechzig und ich werde im Frühjahr schon neunundfünfzig.«
Du liebe Zeit, ich hatte die beiden für mindestens siebzig gehalten!
Ich erklärte Omi, daß ich schon zurechtkommen würde, und ich meinte sogar das, was ich sagte. Im Moment war ja alles noch völlig neu. Ich hatte noch nie einen Misthaufen gesehen und rannte vor jeder schnatternden Gans schreiend davon, ein halbes Dutzend johlender Dorfkinder hinter mir her. Da aber offensichtlich alle Berliner Kinder eine unbegreifliche Angst vor Gänsen hatten und ihnen tunlichst aus dem Weg gingen, verlor diese Art Volksbelustigung bald den Reiz der Neuheit. Die kleinen Eingeborenen brachten uns sogar bei, wie man diese zischenden Ungeheuer bändigt.
Omi hielt es genau vier Tage in Harteck aus, dann überwog die Sehnsucht nach asphaltierten Straßen und einer Wassertoilette die Sorge um ihre dem Untergang der Zivilisation ausgelieferte Enkelin. Immerhin hatte sich Omi redliche Mühe gegeben, mein künftiges Wohlbefinden einigermaßen sicherzustellen und sich dabei selbst denkbar unbeliebt gemacht. Sie hatte nicht nur genaue Anweisungen gegeben, wie meine Wäsche und insbesondere meine Rüschenkleider zu behandeln seien, sie hatte auch die Bereitstellung einer Waschschüssel nebst dazugehöriger Kanne gefordert (und bekommen), damit ich mich nicht zwischen Haferflockensuppe und Kartoffelschalen zu waschen brauchte. Sie hatte ferner einen Nachttopf gekauft, um mir nächtliche Gänge in den Schweinestall zu ersparen. Sie hatte mir alle einschlägigen Telefonnummern aufgeschrieben und mir das Versprechen abgenommen, im Winter
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