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Pellkartoffeln und Popcorn

Pellkartoffeln und Popcorn

Titel: Pellkartoffeln und Popcorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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reichlich verschlafen durch das Dorf trotteten.
    Bei Onkel Wilhelm herrschte reges Treiben. Da liefen sogar ein paar Hitlerjungen herum, die wir gar nicht kannten. »Die sind zum Ernteeinsatz abkommandiert«, erklärte Tante Mathilde, »das sind genau solche Stadtfratzen wie ihr. Können eine Kuh nicht vom Pferd unterscheiden!«
    Das grenzte nun aber fast an Beleidigung! Dabei wußte ich sogar schon, wie ein Stier aussieht. Allerdings erst, seitdem ich auf so ein Vieh gedeutet und Onkel Wilhelm gefragt hatte, wieviel Milch denn dieses Tier täglich gäbe.
    Endlich hatten wir alle den großen Leiterwagen erklommen – freiwillige, kommandierte und berufsmäßige Helfer – und ab ging es. Die Pferde reihten sich in den Treck ein, der die Dorfstraße entlangzog, und als wir den Ort hinter uns hatten, bogen wir auf einen Feldweg ein. Den rüttelten wir eine knappe halbe Stunde entlang, und dann waren wir da.
    Die Wiese hatte keinen Anfang und kein Ende. Rechts war alles grün und links war alles grün. Geradeaus sah man nichts als Gras, und wo das Grüne aufhörte, fing der blaue Himmel an. Dazwischen ein paar Farbtupfer in Gestalt von Menschen, die offenbar noch früher aufgestanden waren als wir.
    »Sollen wir das alles etwa harken?« fragte Christa ungläubig.
    »Nicht alles. Hier gehören mir nur vier Morgen, aber auf Goldap zu habe ich noch ein recht schönes Stück Land«, erklärte Onkel Wilhelm voll Besitzerstolz. »Da wird heute mit dem Mähen angefangen.«
    Tante Mathilde drückte uns zwei hölzerne Rechen in die Hand und zeigte uns, wie wir das vor Trockenheit knisternde Heu in langen Reihen zusammenrechen sollten. »Setzt eure Hüte auf, sonst bekommt ihr einen Sonnenstich!« ermahnte sie uns noch, bevor sie sich den betont diensteifrig dreinblickenden Hitlerjungen zuwandte.
    Gehorsam stülpte ich mir den Strohhut auf den Kopf, setzte ihn aber sofort wieder ab, weil er mir bis auf die Augen rutschte. »Von wegen Sonnenstich, die spinnt doch.«
    Es war kurz nach sieben Uhr, als wir mit der Harkerei anfingen. Um halb acht hatte ich die erste Blase am Daumen, um dreiviertel acht hatte ich das Gefühl, eine Eisenstange hin- und herschieben zu müssen, um acht Uhr hatte ich bereits vier Blasen, um Viertel nach acht war ich kreuzlahm. Und um halb neun hatte ich die Nase restlos voll.
    »Und ich dachte immer, Kinderarbeit ist verboten«, jammerte Christa und stützte sich auf ihren Rechen. »Ich kann einfach nicht mehr.«
    Auf dem Feldweg trabten zwei Kinder entlang. Eins davon war Franz, der größte Raufbold in unserer Klasse und uneingeschränkter Champion, was die Fehlerzahl bei den allwöchentlichen Diktaten anbelangte. »Frühstück gibt es erst um halb zehn«, erklärte der muntere Knabe grinsend, »bis dahin wird gearbeitet. Nun zeigt mal, was ihr drauf- habt. Ihr könnt doch sonst immer alles besser!«
    »Ausgerechnet der!« murmelte Christa und fuchtelte übereifrig mit ihrer Harke herum, »vor dem blamiere ich mich bestimmt nicht!« Kaum war er außer Sichtweite, da sanken wir ins Gras. Allerdings sprang ich sofort wieder schreiend auf. Rechenzinken pieken, auch wenn sie nur aus Holz sind.
    »Na, ruht ihr euch schon aus?« Das war Wanda. Die ging auch in unsere Klasse.
    »Ach wo«, erklärte ich sofort, »mich hat bloß irgendwas gestochen.« Ich schmierte emsig Spucke auf einen nicht vorhandenen Mückenstich.
    »Ihr seid aber noch ziemlich weit zurück«, bemerkte Wanda noch, bevor sie weitermarschierte.
    Das stimmte! Onkel Wilhelm und seine Helfer werkelten schon mindestens zweihundert Meter voraus.
    »Wenn ich mir vorstelle, daß das tagelang so weitergeht, dann möchte ich am liebsten alles hinschmeißen«, resignierte Christa und harkte mißmutig sechs Grasstengel auf einen Haufen.
    »Keine Müdigkeit vorschützen, da kommen schon wieder welche.«
    Die waren zwar nicht aus unserer Klasse, aber wir kannten sie natürlich auch und bemühten uns, ihre schadenfrohen Kommentare zu überhören.
    Nach dem Mittagessen – übrigens ohne Zitronenlimonade, dafür mit einem Gebräu, das sich Most nannte und überhaupt nicht schmeckte – kapitulierten wir endgültig. Zwei von meinen Blasen waren aufgeplatzt und brannten ganz scheußlich, der Rücken tat mir weh, der Kopf auch, Christa hatte sich einen Stachel in den Fuß getreten und hinkte… die Landwirtschaft im allgemeinen und das Heu im besonderen konnten uns gestohlen bleiben!
    Auf dem Rückweg trafen wir Anita und Irene, die in einer ähnlichen

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