Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pellkartoffeln und Popcorn

Pellkartoffeln und Popcorn

Titel: Pellkartoffeln und Popcorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
Vom Netzwerk:
vierte
    Klasse von bisher 8 auf 17 Schüler angewachsen war. Zwei der neun Berliner Kinder kannte ich gar nicht. Die stammten aus einer Schöneberger Schule und sollten eigentlich ganz woanders sein. Dafür kannte ich aber die mitgekommenen Lehrerinnen. Das war einmal Fräulein Scholz, die als sehr streng galt und zu Hause dauernd Strafarbeiten aufgegeben hatte. Dann Fräulein Hegemeister und Frau Schütz, mit denen wir aber nichts zu tun hatten; und schließlich Fräulein Bachmann, die unsere Klasse übernehmen sollte.
    Sie begann ihre Tätigkeit damit, daß sie uns teilte. Rechts die Einheimischen, links die Berliner. In der Mitte blieb ein breiter Gang, der uns nicht nur räumlich trennte. Es stellte sich nämlich schnell heraus, daß wir unseren ostpreußischen Klassenkameraden weit voraus waren, und im Laufe des Schuljahres ist es auch nur zwei Kindern gelungen, diesen Rückstand aufzuholen. Das waren der Sohn vom Pfarrer und die Tochter des Arztes. Die anderen blieben hoffnungslos auf der Strecke, zumal sich Fräulein Bachmann auch keine große Mühe gab, ihren einheimischen Schutzbefohlenen das fehlende Wissen einzutrichtern. Und die wiederum zeigten keinen nennenswerten Bildungseifer, ganz abgesehen davon, daß sie das Berliner Fräulein sowieso nicht leiden – und kaum verstehen – konnten. So beschränkte sich Fräulein Bachmanns Tätigkeit darauf, uns Berlinern zur Oberschulreife zu verhelfen, was ihr auch ausnahmslos gelungen ist. Keiner ihrer Schützlinge mußte später noch eine Prüfung ablegen. Aber sie war wenigstens bereit, sich den ländlichen Gepflogenheiten des Schulunterrichts anzupassen. Und der hatte mit einem Gebet zu beginnen. Nun ist das mit Gebeten so eine Sache, wenn es offiziell keinen Religionsunterricht mehr gibt. Aber wozu hatten wir Lesebücher, in denen kernige Sprüche und vaterländische Gedichte standen? Wir mußten einige davon auswendiglernen, und fortan leierten wir morgens das gewünschte Gebet herunter. An eines kann ich mich noch erinnern, weil es tatsächlich die Überschrift ›Morgengebet‹ trug:
    Schütze, Gott, mit starker Hand unser Volk und Vaterland.
    Gib auch unserm Führer Stärke, zu vollenden seine Werke…
    Wie es weiterging, weiß ich nicht mehr, aber es war ziemlich lang und dem Geist der damaligen Zeit im höchsten Grade angemessen.
    Nach dem Gebet wurde gesungen. Das kannten wir schon, aber zu unserer Überraschung sangen wir nicht das Deutschlandlied und schon gar nicht mit ausgestrecktem Arm, sondern Volkslieder. Die Auswahl blieb der Lehrkraft überlassen, deshalb freuten wir uns immer auf den Freitag. Da hatten wir in der ersten Stunde Heimatkunde. Wie der Name schon sagt, sollte die Heimat erkundet werden, hierorts also Ostpreußen. Fräulein Bachmann wußte darüber nichts Näheres, und so hatte man dieses Fach Fräulein Naujocks übertragen, die aus Gumbinnen stammte und nie weiter als bis Königsberg gekommen war. Ihr Lieblingslied hieß ›Auf der Lüneburger Heide. Also sangen wir jeden Freitag bereitwillig alle drei Strophen, jede hatte acht Zeilen, und dann war die Stunde schon halb herum.
    Meine Hausaufgaben erledigte ich bei Tante Hanne. Sie tippte am Wohnzimmertisch endlose Schriftsätze für einen Goldaper Rechtsanwalt, während wir in Christas Zimmer Millionenbeträge addierten und zusammengesetzte Wörter mit ›über‹ suchten. Meistens machten wir mehr, als verlangt worden war, bekamen regelmäßig Einsen und wurden langsam größenwahnsinnig. Es war höchste Zeit, daß uns jemand von unserem hohen Roß herunterholte!
    Das geschah auch prompt und sehr nachhaltig während der Heuernte! Aus diesem Anlaß gab es ein paar schulfreie Tage, und obwohl uns Berlinern der Ernteeinsatz freigestellt war, erklärten wir uns natürlich alle zur Mithilfe bereit. So ’n bißchen Grasharken würden wir ja wohl noch schaffen! Wiemers besaßen keine eigenen Wiesen, dafür aber diverse
    Vettern mit umfangreichen Ländereien, so daß wir uns unseren Arbeitsplatz sogar aussuchen konnten.
    »Am besten gehen wir zu Onkel Wilhelm«, meinte Christa, »da gibt es immer die selbstgemachte Zitronenlimonade, und der Apfelkuchen schmeckt mir bei Tante Mathilde am besten.«
    Onkel Wilhelms große Wiesen lag ziemlich weit draußen, und wenn wir nicht einen halbstündigen Fußmarsch in Kauf nehmen wollten, mußten wir schon um sechs Uhr früh auf dem Hof sein, damit wir auf dem Leiterwagen mitfahren konnten.
    »Schöne Ferien«, maulte Christa, als wir noch

Weitere Kostenlose Bücher