Pellkartoffeln und Popcorn
Verfassung den Feldweg entlangschlurften.
»Habt ihr auch aufgegeben?«
»Hört bloß auf. Mir tut alles weh. Ich weiß nicht, wie die Dorfkinder das schaffen.«
»Wir sind so etwas eben nicht gewöhnt. Zur Landarbeit muß man geboren sein!« erklärte Anita rundheraus.
»Jedenfalls ist es wohl besser, wenn wir in Zukunft die Klappe halten«, empfahl Irene, »mit Ruhm haben wir uns nicht gerade bekleckert. Geht ihr morgen wieder mit raus?«
Diese Entscheidung wurde uns abgenommen. Am nächsten Morgen hatten wir beide Fieber, Kopfschmerzen und Schüttelfrost. Der eilends herbeigerufene Arzt konstatierte einen leichten Sonnenstich, empfahl Bettruhe, Kräutertee und Selbstbesinnung. »Verachtet mir die Bauern nicht«, zitierte er zum Schluß.
»Sonnenstich!« entrüstete sich Christa. »Und ich dachte immer, das ist bloß ein Schimpfwort.«
Nach zwei Tagen hatten wir unsere Leiden überwunden, aber auch jede Lust, uns weiterhin im Dienste der Volksernährung zu betätigen.
Ein paar Monate später wiederholte sich das gleiche Spiel bei der Kartoffelernte. Anfangs viel Enthusiasmus, nach kurzer Zeit nachlassende Begeisterung, dann Rückenschmerzen, aufgeschürfte Knie und schließlich Kapitulation auf der ganzen Linie.
»Schlappschwänze!« urteilten unsere eingeborenen Altersgenossen. »Großes Maul und nichts dahinter!«
Fortan vertrugen wir uns einigermaßen. Immerhin mußten wir ja zugeben, daß die bislang reichlich verachteten Bauerntölpel uns Städtern auf einigen Gebieten erheblich überlegen waren. Im stillen leistete ich sogar meinem sechsjährigen Pflegebruder Abbitte, der nicht nur den ganzen Tag über Kartoffeln geklaubt, sondern abends noch beim Kühefüttern geholfen hatte. Zur Belohnung las ich ihm vor dem Schlafengehen noch ein paar Seiten aus den Deutschen Heldensagen vor, worauf ich in seiner Hochachtung wieder etwas stieg.
7
Im November erhielt ich eine Ansichtskarte mit Palmen drauf und Meer und einer imponierenden Strandpromenade. Auf der Rückseite hatte Mami geschrieben, daß sie jetzt in Nizza sei, das läge in Frankreich, und zwar am Mittelmeer, und Brief folgt.
Der kam auch prompt ein paar Tage später. Darin schrieb sie, daß es sie nun doch erwischt habe und sie dienstverpflichtet worden sei. Dank entsprechender Beziehungen sei es ihr jedoch gelungen, nach Frankreich kommandiert zu werden, um den Einsatz der diversen Fronttheater zu koordinieren. Ich konnte mir zwar nichts darunter vorstellen, aber bestimmt handelte es sich um etwas sehr Kriegswichtiges. Nizza sei eine herrliche Stadt, die Franzosen liebenswerte Menschen, was ich aber bitte für mich behalten solle, und im übrigen sei es frühlingshaft warm.
Wir in Ostpreußen hatten bereits Minus-Temperaturen, schippten mehrmals täglich den Weg zum Stall und damit zum Klohäuschen vom Schnee frei, und ich zog mir morgens sogar freiwillig wollene Unterhosen an. Daran hätte mich Omi im Laufe ihrer regelmäßigen Telefonate gar nicht zu erinnern brauchen.
Sie rief jeden zweiten Sonntag an, und zwar immer zwischen sechzehn und siebzehn Uhr, wenn Frau Wiemer im Stall beschäftigt war. Ich sollte die Möglichkeit haben, etwaige Klagen unbelauscht vorbringen zu können. Aber erstens hatte ich keine, und zweitens stand das Telefon im Schlafzimmer, wo Altchen in ihrem Bett thronte und jedesmal äußerst interessiert zuhörte. Wenn Omi sich vergewissert hatte, daß es mir erstens gutging, ich zweitens genug zu essen bekam und drittens wieder zwei Einser geschrieben hatte, teilte sie mir die jeweiligen Zehlendorfer Neuigkeiten mit: Die verwitwete Frau Regierungsrat war zu ihrer Tochter nach Holland gezogen, und in die leere Wohnung war eine ausgebombte Familie eingewiesen worden. »Die haben vorher in Kreuzberg gewohnt, stell dir das bloß vor. Das ist doch eine richtige Arbeitergegend.« Ein anderes Mal erzählte sie mir, daß Frau Jäger gestorben sei. »Naja, zuckerkrank war sie ja schon immer, aber nun hatte sie noch etwas mit der Galle bekommen. Vorgestern haben wir sie beerdigt. Sogar eine Abordnung vom Kriegerverein hat am Grab gesungen. Es war wirklich sehr feierlich.«
Und schließlich erfuhr ich auch, daß wir Einquartierung bekommen hatten. »Seitdem Mami in Frankreich ist, mußte ich beinahe täglich damit rechnen, daß man mir jemanden in die Wohnung setzte. Du ahnst ja gar nicht, was hier los ist. Die beschlagnahmen doch einfach Zimmer und weisen einem wildfremde Leute zu, die ausgebombt sind. Man weiß ja gar nicht, wen
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