Pellkartoffeln und Popcorn
man da ins Haus kriegt! Jetzt hat es Tante Else auch erwischt. Sie ist am Donnerstag ausgebrannt, und natürlich habe ich sofort gesagt, daß sie zu mir kommen soll. Ich habe das auch gleich dem Wohnungsamt gemeldet, da sind wir jetzt endlich gestrichen worden. Mit Tante Else werde ich schon auskommen. Sie ist ja auch ganz nützlich, und mit Onkel Paul habe ich mich schon immer gut verstanden.«
Tante Else war die hausschneidernde Kusine und Onkel Paul der dazugehörige Ehemann, Beamter und als solcher bei der Reichsbahn tätig. Im übrigen gehörte zur Familie Wirth noch ein Papagei namens Saladin, aber ich hatte nicht gefragt, ob der auch mitgekommen war.
Er war! Sehr zu Omis Mißvergnügen, die sich in ihrem nächsten Brief lang und breit über die Unsitte ausließ, exotisches Getier in einer normalen Wohnung zu halten. ›Der Vogel macht einen Höllenlärm, und jedesmal, wenn man ins Zimmer kommt, schreit er Heil Hitler. Das wäre ja noch zu ertragen, aber sein Vokabular umfaßt auch einige Schimpfwörter, von denen ich hoffe, daß du sie nicht kennst.‹
Da war ich mir keineswegs so sicher, denn mein Wortschatz hatte sich gerade in dieser Beziehung erheblich vergrößert, woran nicht zuletzt mein Pflegebruder Gerhard beteiligt war. Sein Repertoire an Kraftausdrücken schien unerschöpflich.
Das Weihnachtsfest verlief, zumindest vom kulinarischen Gesichtspunkt aus, durchaus friedensmäßig. Es gab Gänsebraten und Mohnpielen, eine mir bisher unbekannte Spezialität, bestehend aus in Milch gerührtem Mohn, vermischt mit eingeweichtem Weißbrot, Rosinen und weiteren Ingredienzien. Es gab Berge von Kuchen und Keksen, es gab Schlagsahne und Bratäpfel; es gab Geräuchertes und Gebratenes. Am ersten Feiertag verdarb ich mir dann auch gründlich den Magen und ernährte mich bis Silvester vorwiegend von Kamillentee und Zwieback. Das aufkommende Heimweh bekämpfte Tante Hanne sehr erfolgreich, indem sie mich nach oben holte, dort ins Bett packte und mich zusammen mit Christa nach allen Regeln der Kunst verwöhnte. Der Kamillentee schmeckte dadurch zwar auch nicht besser, aber ich kam mir irgendwie geborgener vor.
Mamis Weihnachtsgeschenk, einen dunkelbraunen Kaninchenmantel, konnte ich also erst im neuen Jahr ausführen. In Frankreich schien es tatsächlich noch alles zu geben, denn in der einen Manteltasche hatte ich noch eine kleine silberne Armbanduhr gefunden, meine erste! Ich war maßlos stolz und trug trotz arktischer Kälte ein paar Tage lang kurzärmelige Pullover, damit jeder meine neue Errungenschaft bewundern konnte.
Ein paar Wochen später war Mami selber da. Als ich mittags aus der Schule kam, saß sie bei Tante Hanne im Wohnzimmer, trank mitgebrachten Bohnenkaffee (der war inzwischen sogar in Ostpreußen eine Rarität geworden) und starrte mich fassungslos an. »Meine Güte, bist du gewachsen!«
Ich fiel ihr jubelnd um den Hals. Christa kämpfte mit den Tränen, die aber ziemlich schnell versiegten, als Mami sie in den Arm nahm und ihr ein verschnürtes Päckchen in die Hand drückte. »Ein kleines Mitbringsel.« Zum Vorschein kam eine Armbanduhr, das Pendant zu meiner eigenen, nur mit einem blauen Lederband statt eines roten. Mami erzählte, daß sie zehn Tage Urlaub bekommen und in Berlin nur einen kurzen Zwischenaufenthalt eingelegt hätte. »Länger wäre ich da sowieso nicht geblieben. Omi und Tante Else liegen sich dauernd in den Haaren, und wenn Tante Else nicht so eine Engelsgeduld hätte und einen gehörigen Schuß Humor, dann wären vermutlich schon längst die Teller geflogen.«
Mami packte ihren Koffer aus. Zum Vorschein kamen lauter Pakete; und da ich sie im Laufe der Zeit über die einzelnen Familienmitglieder brieflich aufgeklärt hatte, war es ihr sogar gelungen, für jeden das richtige Geschenk zu finden. Tante Hanne bekam französisches Parfüm, Frau Wiemer einen Pelzkragen. Altchen eine Bettjacke aus Angorawolle, die sie dann überhaupt nicht mehr auszog, und die beiden Jungs, denen es völlig die Sprache verschlagen hatte, Schuco-Autos, die von selbst fuhren. Für mich hatte sie ein hellblaues Wollkleid mitgebracht, sehr schick und ganz ohne Rüschen.
»Man kommt in Frankreich noch an alles mögliche heran, wenn man ein paar Beziehungen hat«, wehrte Mami die erstaunten Fragen ab. Erst Jahre später erfuhr ich, daß sie bei den damals keineswegs unüblichen Schwarzmarktgeschäften kräftig mitgemischt hatte und nur um Haaresbreite einem Kriegsgerichtsverfahren entgangen war
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