Pellkartoffeln und Popcorn
aufpolieren müssen.«
Das begriff ich nun überhaupt nicht. Na schön, die deutschen Soldaten zogen sich in Rußland immer weiter zurück; aber das lag an dem harten Winter und weil der Nachschub im Schnee steckengeblieben war. Und jetzt würde es sicher bald wieder vorwärtsgehen! So etwas Ähnliches hörte man doch ständig im Radio. Aber dann erzählte mir Onkel Georg, daß die Alliierten in Frankreich gelandet seien und von Westen nun immer näherkämen. »Es sieht gar nicht gut aus, Kind! Und wenn nicht ein Wunder geschieht, dann haben wir den Krieg bereits verloren. Ich frage mich nur, wann man euch hier endlich herausholt.«
Davon war jedoch überhaupt keine Rede. Zeitung und Rundfunk verkündeten, daß kein russischer Soldat jemals die deutsche Grenze überschreiten würde. Na bitte! Außerdem hätte man vermutlich gar nicht gewußt, wo man uns Kinder hinbringen sollte. Die Städte wurden mehr denn je bombardiert. Und das Großdeutsche Reich nebst allem, was inzwischen dazugehörte, wurde beinahe täglich kleiner. Da waren wir in Ostpreußen immer noch am besten aufgehoben.
Offenbar war Mami anderer Ansicht. Sie war eines Morgens plötzlich da, völlig übernächtigt, hatte nur eine kleine Reisetasche bei sich und erklärte, daß wir noch am selben Tag zurückfahren würden. Nach Berlin. »Mir wird das zu brenzlig hier oben. In Frankreich geht auch schon alles drunter und drüber, mit Mühe und Not habe ich noch einen Militärfahrschein bekommen, und für den Marschbefehl nach hier mußte ich dem Bürohengst ein Kilo Bohnenkaffee in den Rachen stopfen. Wie ich das Kind nach Hause kriege, weiß ich noch nicht, aber irgendwie schaffe ich das schon.«
Eine offizielle Rückkehr nach Berlin war praktisch unmöglich, ja verboten. Ich hätte bestenfalls eine Besuchserlaubnis für ein paar Tage erhalten können; aber dazu mußten triftige Gründe vorliegen, und außerdem hätte der Kampf um die erforderlichen Papiere zu lange gedauert.
»Fahren Sie doch mal ans Kurische Haff«, schlug Onkel Georg vor.
»Und was soll ich da?«
»Gar nichts, natürlich. Aber Sie brauchen für Evelyn doch die Lebensmittelkarten. Also beantragen Sie Reisemarken, weil Sie mit Ihrer Tochter ein paar Tage verreisen wollen. Klingt doch ganz glaubhaft, schließlich sind noch Ferien.
Wohin Sie in Wirklichkeit fahren, kann doch hier kein Mensch kontrollieren.«
Das klang plausibel. Die Frau Bürgermeister, nebenberuflich Verwalterin der beiden Karteikästen sowie der Lebensmittelkarten, rückte bereitwillig die Reisemarken heraus und erklärte Mami sehr wortreich, daß sie als Kind auch schon mal am Frischen Haff gewesen sei, und wie herrlich es dort ist.
»Ich will aber eigentlich ans Kurische Haff«, berichtete Mami.
»So? Naja, da ist es sicher auch schön. Dann wünsche ich Ihnen eine gute Reise und auch recht gute Erholung.«
Daraus würde wohl nicht viel werden! Mami sortierte zusammen mit Tante Lisbeth meine Garderobe durch. Nur das Wichtigste wurde eingepackt, denn mehr als einen Koffer wollte sie nicht mitnehmen. »Wer weiß, wie oft wir umsteigen müssen.«
Tante Lisbeth versprach, die restlichen Sachen hinterherzuschicken. Das hat sie auch wirklich getan, die Gute, und sogar die Wolljacke, die sie gerade für mich strickte, hat sie noch fertiggestellt und in das letzte Paket gelegt.
»Kann ich mich denn wenigstens noch von Christa verabschieden?«
»Natürlich, aber sag ihr auf keinen Fall die Wahrheit, auch wenn’s schwerfällt. Wir bringen sonst Nawrotzkis in Teufels Küche. Sie müßten mich schon längst angezeigt haben, weil ich dich zurückholen will; aber offiziell wissen sie das gar nicht. Du darfst Christa also auch nichts sagen. Wir fahren ans Haff, und damit basta!«
Christa fand das völlig in Ordnung, und traurig war sie auch nicht.
»Ich fahre morgen auch weg. Nach Stallupönen. Da wohnt Tante Hannes Schulfreundin, die hat uns eingeladen. Sie hat sogar Pferde und wenn ich will, kann ich reiten.«
Die Tränen saßen mir ziemlich locker, als ich Christa die Hand gab, obwohl ich damals noch nicht ahnte, daß ich sie nie wiedersehen würde.
»Mach’s gut, und schreib mal eine Karte.«
»Quatsch, das lohnt sich doch gar nicht wegen der paar Tage.«
Mein Koffer war gepackt, mein kleiner Handkoffer vollgestopft mit Proviant. Tante Lisbeth heulte. »Es wird uns wohl sehr einsam vorkommen, wenn du nicht mehr da bist. Zum Abtrocknen habe ich dann niemanden mehr, und wer holt mir in Zukunft das
Weitere Kostenlose Bücher