Pellkartoffeln und Popcorn
ihrer Mutter nach Berlin zurück«, erklärte er dem glatzköpfigen Schalterbeamten. »Die hier lebende Großmutter ist vor zwei Tagen ausgebombt, das Kind wird jetzt kurzfristig nach Thüringen evakuiert. Eine Reiseerlaubnis kann unter diesen Umständen überhaupt nicht vorliegen!«
»Natürlich, Herr Major, unter diesen Umständen selbstverständlich nicht«, bestätigt der Beamte bereitwillig und händigte mir die Fahrkarte aus. Wir hatten es geschafft!
Unser Retter wehrte jeden Dank ab. »Gern geschehen. Ich wünschte nur, die strategischen Probleme ließen sich ähnlich leicht lösen. Versuchen Sie, das nächste halbe Jahr zu überleben, dann ist der ganze Spuk vorbei!«
»Was meint der damit?« wollte ich wissen. Mami verzichtete auf eine Antwort; sie konnte ja nicht ahnen, daß ich meine frühere Geschwätzigkeit inzwischen abgelegt hatte.
Unser Zug fuhr fünfzig Minuten später. Es war ein Bummelzug, der an jeder Bretterbude hielt und krachend voll war. So verbrachten wir den Rest unserer abenteuerlichen Reise stehend, eingequetscht zwischen Koffern, Rucksäcken und einem altersschwachen Kinderwagen. Wir hatten Vororte von Berlin erreicht und näherten uns allmählich dem Zentrum. Ich starrte entsetzt aus dem Fenster. Ruinen, verkohlte Mauern, Trümmer, dazwischen Häuser, deren Fenster mit Pappe vernagelt waren, dann wieder Schuttberge.
»Ist denn hier alles kaputt?« fragte ich entgeistert.
»Alles noch nich, aber den Rest schaffen die Tommies ooch noch«, antwortete der Mann neben mir und sah mich an. »Wie lange biste denn nich hierjewesen?«
»Über ein Jahr.«
»Na, denn paß man uff, dette dir nich valoofst. Die Trümmer sehn alle ejal aus, und Straßenschilder jibts ooch nich mehr.«
Endlich lief der Zug in den Schlesischen Bahnhof ein. Das Dach bestand nur noch aus Stahlstreben, und wo einstmals die großen Scheiben gesessen hatten, zackten noch ein paar Glassplitter. Die Wände hatte man zum Teil mit Reklametafeln zugenagelt. ›Aus gutem Grund ist Juno rund‹.
Vor dem Bahnhof das gleiche Bild: Ruinen, Schuttberge, notdürftig freigeräumte Straßen. Um die Ecke bog quietschend eine Straßenbahn. Die sah auch schon reichlich ramponiert aus.
»Ist bei uns auch alles zerbombt?«
»Nein, überhaupt nicht, Zehlendorf hat bis jetzt kaum etwas abgekriegt.«
»Dann laß uns bloß schnell fahren, ich finde das alles hier so trostlos.«
»Geh schon zur U-Bahn rüber. Ich rufe nur noch bei Omi an und sage ihr, daß wir da sind. Außerdem soll sie endlich ihre gehorteten Kaffeebohnen herausrücken. Ich habe mir jetzt wirklich einen anständigen Schluck verdient!«
Die Untergrundbahn heißt so, weil sie unter der Erde fährt. Im Gegensatz zu einigen anderen Städten tut sie das in Berlin tatsächlich, und nur manchmal kommt sie für kurze Zeit ans Tageslicht. Bei uns in Zehlendorf fährt sie oberirdisch.
Als der Zug am Bahnhof Podbielskiallee aus der dunklen Röhre schoß, schloß ich erst einmal die Augen. Ich wollte nicht schon wieder Trümmer sehen. Dabei gab es gar keine. Die Häuser sahen genauso aus wie früher, nur fehlten in den meisten die Fensterscheiben. Aber aus den Balkonkästen hingen immer noch die Geranien, und in den kleinen Gärten standen Sonnenschirme und Liegestühle. »Unser Küchenfenster ist übrigens auch hinüber«, sagte Mami, »und bei Omi im Herrenzimmer sieht es aus wie in einer Bar. Als die große Balkonscheibe herausgeflogen war, hat Herr Bennich so eine komische Kunststoffplatte davorgenagelt. Jetzt schimmert innen alles bonbonrosa.«
Als wir die vertraute Riemeisterstraße entlangmarschierten, hing Omi schon halb aus dem Küchenfenster und winkte. Sie residierte ja nunmehr im ersten Stock und hatte die halbe Straßenlänge unter Kontrolle. »Da seid ihr ja endlich! Ist alles gutgegangen? Jetzt kommt erst einmal herein, der Kaffee ist gleich fertig, ich habe auf dem Balkon gedeckt, Kuchen ist auch noch da. Mein Gott, Kind, bist du gewachsen, laß dich mal ansehen. Also mit den Zöpfen siehst du ja entsetzlich aus, wir gehen morgen gleich zum Friseur; nun setzt euch erst mal hin, wasch dir die Hände, Helmchens habe ich schon Bescheid gesagt, die kommen morgen, und Tante Mieze hat sich für Sonntag zum Kaffee angesagt, die will dich auch wiedersehen, Reni, du siehst schlecht aus, hast wohl kaum geschlafen, na, nun erzählt doch mal, wie war denn die Fahrt …«
Uffa! Ich hatte völlig vergessen, wieviel und wie schnell Omi reden konnte. Es klingelte.
»Das
Weitere Kostenlose Bücher