Pellkartoffeln und Popcorn
Glühbirne beleuchtet wurden. In einem Coupe war sie kaputt.
»Das nehmen wir«; sagte Mami, »je dunkler, desto besser.« Außerdem war es leer. Kurz darauf kam aber doch noch ein Fahrgast. Der trug Uniform, funzelte mit einer Taschenlampe herum und murmelte etwas vom Untergang des Abendlandes. Er stellte sich als Major Sowieso vor und erkundigte sich bei Mami, wie weit sie denn mitfahre. Mich hatte er noch gar nicht bemerkt.
»Ich will nach Berlin, vorausgesetzt, man holt mich nicht vorher heraus.«
»Weshalb denn das? Sind Sie Spionin, Deserteurin, oder haben Sie bloß Butter gehamstert?«
»Viel schlimmer! Ich entführe gerade meine eigene Tochter!« Und dann erzählte sie alles.
Der Major blinkte mich mit seiner Taschenlampe an. Ich hatte mich in einer Ecke zusammengerollt und bibberte vor Angst. Als der Lichtkegel auf meine BDM-Bluse fiel, sagte mein Gegenüber entsetzt: »Auch noch ein Kind des Führers! Sag mal, holt man euch jetzt schon aus dem Kindergarten?« Kopfschüttelnd knipste er seine Lampe wieder aus. »Ich fahre zwar nur bis Küstrin mit, aber so lange kann ich Ihnen vielleicht helfen.« Er holte seine prall gefüllte Aktentasche aus dem Gepäcknetz und stellte sie auf das Polster. »Du setzt dich jetzt in die Ecke direkt neben der Tür. Wenn’s geht, nimm die Beine hoch.« Dann hängte er seinen Militärmantel über mich, klappte die Armlehne herunter und baute daneben die Aktentasche auf. Jetzt war ich regelrecht eingemauert. Zum Schluß zog er noch die Vorhänge an den beiden Gangfenstern zu. Dann betrachtete er sein Werk. »Das müßte hinhauen!« meinte er und ermahnte mich, mäuschenstill zu sein, sobald ich Geräusche an der Abteiltür hörte. Schließlich zog er den Mantel wieder zur Seite. »Sonst erstickst du noch. Aber wenn jemand kommt, versteckst du dich sofort wieder!«
Es haute tatsächlich hin. Der Fahrkartenkontrolleur interessierte sich nur für die Fahrkarten und für sonst gar nichts. Die beiden Kettenhunde regten sich über die kaputte Glühbirne auf und prüften die ihnen bereitwillig überreichten Papiere sehr oberflächlich. In Königsberg wollte ein Zivilist zusteigen, wurde aber von dem Major darauf hingewiesen, daß es sich um ein Dienstabteil handele. Erschreckt schloß der Herr wieder die Tür.
Langsam wurde es hell. Die beiden Fahrgäste täuschten Tiefschlaf vor, damit die Vorhänge noch geschlossen bleiben konnten. Eine neue Militärstreife kam. »Wie oft wollt ihr denn noch antanzen?« raunzte der Major. »Ich liege seit zwei Tagen auf der Bahn und habe ein paar Stunden Schlaf bitter nötig!«
»Verzeihung, Herr Major, wir wußten nicht, daß Herr Major schon kontrolliert worden sind. Wird nicht mehr geschehen!«
Ich bekam Hunger. Mami öffnete den Proviantkaffer und lud unseren Retter zum Frühstück ein. Der ließ sich das nicht zweimal sagen. Während er genußvoll an einer Schinkensemmel kaute, meinte er sinnierend: »Mein Onkel hätte mir lieber einen Bauernhof vererben sollen. Statt dessen habe ich das Familiensilber bekommen und ein Mietshaus in Köln. Das Silber hat jemand geklaut, und vom Haus steht nur noch eine halbe Mauer. Und dafür habe ich dreißig Jahre lang Pflichtbriefe an den Erbonkel geschrieben.«
Bremsen kreischten, der Zug hielt abrupt. Fliegeralarm. Ich hatte schon fast vergessen, daß es so etwas gab.
»Alle Mann raus aus dem Zug!« brüllte eine befehlsgewohnte Stimme von draußen.
»Was machen wir jetzt?«
»Sitzenbleiben!« sagte der Herr Major. Also blieben wir sitzen. In der Ferne hörte man die Flak belfern, dann war wieder Ruhe. »Alles einsteigen, der Zug fährt weiter.« Trillerpfeifen, dann ging ein Ruck durch den Wagen. Wir fuhren wieder.
»Jetzt müssen wir uns langsam überlegen, wie wir Sie heil nach Berlin bringen. In einer guten Stunde sind wir in Küstrin, bis dahin muß uns etwas eingefallen sein.«
»Am besten bleiben wir hier sitzen. Der Schaffner kennt mich doch inzwischen.«
»Kurz vor Berlin werden die Kontrollen bestimmt schärfer. Außerdem ist es wahrscheinlich, daß jemand zusteigt. Ich halte es für das beste, wenn Sie in Küstrin mit mir zusammen den Zug verlassen. Die Kleine bringe ich schon irgendwie durch die Sperre. Sie lösen für das Kind eine ganz normale Fahrkarte und nehmen dann den nächsten Zug. Ich glaube nicht, daß man von hier aus noch eine Reisegenehmigung braucht.«
Für Kinder brauchte man aber doch eine. Und sofort wurde der Herr Major dienstlich. »Ich bringe meine Nichte zu
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