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Pellkartoffeln und Popcorn

Pellkartoffeln und Popcorn

Titel: Pellkartoffeln und Popcorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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wird Else sein«, sagte Omi. Tante Else war auch nicht jünger geworden. Durch ihre rotblonden Haare zogen sich jetzt viele graue Fäden, aber sie hatte immer noch so lustige Augen und die unvermeidliche Zigarette in der Hand. »Kinder, ich bin froh, daß ihr da seid. Ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen. Nun laß dich mal ansehen, du Krümel.« Damit drehte sie mich einmal um die eigene Achse, um dann festzustellen: »Ich muß mir einen anderen Namen für dich einfallen lassen. Du bist mächtig in die Höhe geschossen. Sonst siehst du aber prächtig aus.«
    Omi kam mit der Kaffeekanne. »Für dich habe ich Kakao gekocht, so ein bißchen hatte ich noch.«
    Der Kakao schmeckte greulich. »Ja, liebes Kind, Milch gibt es nur noch für Kinder und stillende Mütter, du wirst dich jetzt wohl etwas umstellen müssen, was die Verpflegung anbelangt, und seit wann ißt man denn Kuchen mit dem Teelöffel, du hast wohl überhaupt keine Manieren mehr? Es wurde höchste Zeit, daß du wieder unter zivilisierte Menschen kommst; ich habe ja immer gesagt, du sollst zu Tante Lotte gehen, und wie sitzt du überhaupt da, lümmle dich doch nicht so am Tisch herum, das hast du vielleicht bei deinen Bauern machen können, aber nicht bei mir, das sage ich dir gleich …«
    »Jetzt reicht’s mir aber!« Mami funkelte ihre Mutter wütend an. »Nawrotzkis sind reizende, grundanständige Menschen, die vielleicht nicht deine Tischmanieren haben, aber dafür etwas viel Wichtigeres, nämlich das Herz am rechten Fleck. Oder hättest du etwa ein wildfremdes Kind bei dir aufgenommen?«
    Bums, das hatte gesessen! Omi klappte den Mund zu und sagte in Mamis Gegenwart nie wieder ein abfälliges Wort über meine ostpreußischen Pflegeeltern.
    »Da fällt mir übrigens ein, daß ich noch ein Telegramm nach Harteck aufgeben muß. Kann ich schnell hier oben telefonieren?« Der Text lautete sehr zeitgemäß im Code ›Emil heute mittag auf Urlaub gekommen‹ und signalisierte den beiden Nawrotzkis unsere glückliche Heimkehr.
    Während Mami den gewünschten Reisebericht lieferte, sah ich mich in Omis neuem Reich um. Ich war früher schon ein paarmal in der Wohnung von Jägers gewesen, aber bei diesen Gelegenheiten hatte man mich immer in der Diele abgefertigt. Jetzt öffnete ich neugierig die Wohnzimmertür. Riesige dunkle Eichenmöbel mit Schnitzereien, weinrote Samtvorhänge, Spitzengardinen bis zum Boden, überall Kristall, dunkelrote Polstergarnitur, Blümchen-Tapete, alles sehr eindrucksvoll und erdrückend. Nächste Tür, Herrenzimmer: Riesige dunkle Eichenmöbel mit Schnitzereien, Schreibtisch, Bücherschrank mit Butzenscheiben, Ledersessel, Blümchen-Tapete. Dritte Tür, Schlafzimmer: Riesige dunkle Eichenmöbel ohne Schnitzereien, über den Betten ein Ölschinken mit weidenden Schafen drauf, Wolkengardinen, Blümchen-Tapete. Das Eßzimmer überraschte mich nun auch nicht mehr. Riesige dunkle Eichenmöbel mit Schnitzereien, sogar der ovale Tisch hatte klauenartige Füße, rechts davon ein Büfett, links eine Anrichte, oben drauf Kristall,
keine
Blümchen-Tapete, statt dessen Birkhühner und Fasane, teilweise als ausgestopfte Originale. Gräßlich! In dieser Wohnung würde ich Alpträume kriegen. Aber wie mochte es jetzt bei uns unten aussehen? Da mußte sich doch auch einiges verändert haben.
    »Können wir nicht mal runtergehen?«
    »Sag mal, Kind, wie sprichst du denn überhaupt? Das ist mir vorhin schon aufgefallen, du hast dir ja einen entsetzlichen Dialekt angewöhnt.«
    Mami zuckte zwar auch immer schmerzlich zusammen, wenn ich in breitestem ostpreußischen Tonfall etwas erzählte, aber sie hatte gemeint, der würde sich wohl schnell wieder verlieren.
    »Laß sie doch, ich finde, es klingt ganz ulkig«, meinte Tante Else.
    »Das klingt nicht ulkig, das klingt furchtbar, und du mußt unbedingt darauf achten, Reni, daß das Kind wieder einwandfreies Hochdeutsch lernt.«
    Das Kind hatte nun endgültig die Nase voll und strebte zur Tür. In unserer Wohnung hatte sich nicht so viel verändert. Mein Zimmer war so geblieben, wie ich es in Erinnerung hatte, sogar der räudige Teddybär saß noch auf dem Bett, nur war er nicht mehr einäugig, irgend jemand hatte das fehlende Auge durch einen Hosenknopf ersetzt. Das Schlafzimmer benutzten jetzt Onkel Paul und Tante Else, und in Omis ehemaligem Zimmer wohnten sie. Das Wohnzimmer hatte Mami völlig umgekrempelt. Die Sesselgarnitur war neu bezogen, und das Büfett mit den Glasscheiben hatte sie auf den

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