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Pellkartoffeln und Popcorn

Pellkartoffeln und Popcorn

Titel: Pellkartoffeln und Popcorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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Schulamt oder etwas Ähnliches existieren. Geben Sie mal das Telefonbuch her.«
    Nach einer guten Stunde, acht Telefonaten und fünf Zigaretten hatte Mami alles Erforderliche herausgebracht. Die Gertraudenschule, beziehungsweise ihr lebendes Inventar – befand sich in einem Ort, der Podiebrad hieß und östlich von Prag liegen sollte. Die Maus staunte. »Nein, wie Sie das gemacht haben! So was hätte ich nie gekonnt.« Sorgfältig schrieb sie die nun endlich ermittelte Adresse auf, pinnte den Zettel mit braunen Klebestreifen auf der Schreibtischplatte fest und fühlte sich nunmehr etwaigen weiteren Fragestellern völlig gewachsen.
    In der U-Bahn brachte Mami mir in homöopathischen Dosen die Nachricht bei, daß ich bereits in fünf Tagen in Marsch gesetzt würde. »Am Dienstag geht ein Kindertransport ab, da mußt du mit.«
    »Ganz allein?«
    »Es geht nicht anders. Ich kann dich nicht hinbringen, weil ich spätestens übermorgen nach Nizza zurückfahre. Von Rechts wegen müßte ich längst unten sein. Aber die anderen Kinder sind doch auch allein, und außerdem werdet ihr von Rote-Kreuz-Schwestern begleitet.«
    Diese Aussicht trug nun auch nicht gerade dazu bei, meine erneute Auswanderung in ein rosigeres Licht zu tauchen. Auch nach Ostpreußen hatten uns Schwestern gebracht; aber das waren allesamt Drachen gewesen, die besser auf einen Kasernenhof gepaßt hätten als zu heimwehgeplagten Kindern. Wenigstens war damals Omi ein schützendes Bollwerk gegen diese weiblichen Dragoner gewesen.
    Sie war dann auch schlicht entsetzt. »Du kannst das Kind doch auf gar keinen Fall allein fahren lassen, Reni, und was soll das überhaupt, dieses Bad… Bad… wie heißt das noch? Also dieses Bad Podiebrad liegt ja mindestens genausoweit weg wie Harteck, schick das Kind doch endlich nach Wolfenbüttel, da kann ich schnell mal für zwei oder drei Tage hinfahren, und wer weiß, wie die Kinder untergebracht sind, der Name KLV-Lager sagt schon alles…«
    »Meine Güte, Mutti, die leben doch nicht in Zelten! Sie wohnen in beschlagnahmten Häusern, haben geregelten Schulunterricht und sind ständig unter Aufsicht. Du willst Evelyn später doch ohnehin in ein Internat stecken, dann bekommt sie jetzt schon einen Vorgeschmack.«
    »Wie kannst du nur ein Schweizer Pensionat mit diesen Lagern vergleichen«, empörte sich Omi, »da gibt es wohl doch ganz wesentliche Unterschiede!«
    Omi war durch ihre zweite Ehe wohlhabend geworden. Allerdings hatte sie das vorher nicht geahnt. Die erste Frau Jäger, bekanntlich eine geborene von und nicht ganz unvermögend, hatte ihren Mann zum Alleinerben eingesetzt, und der wiederum, als deutscher Beamter stets für klare Verhältnisse, hatte inzwischen sein Testament zu Omis Gunsten ändern lassen. Diese Neuigkeit hatte Omi mir schon am ersten Abend mitgeteilt, als ich den Schlafzimmerschrank besichtigen mußte. Darin stapelten sich Wäscheberge, sorgfältig von grünen Seidenbändern zusammengehalten. »Das wird einmal deine Aussteuer«, hatte sie mir erklärt. »Die ganzen Sachen sind noch vollkommen neu.«
    Im allgemeinen interessiert man sich mit zehn Jahren noch nicht für Aussteuerfragen, und für Tischtücher und Damastbezüge schon gar nicht. So war meine Reaktion wohl auch ziemlich lauwarm. Sie wurde auch nicht viel enthusiastischer, als Omi mir eröffnete, daß ich so in sechs oder sieben Jahren in ein Pensionat nach Genf käme – »aber vielleicht ist es in Lausanne schöner« – damit ich dort meine Ausbildung vollenden könne. »Da erhältst du den letzten Schliff, und anschließend studierst du natürlich. Vielleicht Sprachen oder Literaturwissenschaft, das kannst du dir später noch aussuchen.«
    Seitdem ich Frau Wiemers weißem Kaninchen mit der Pinzette einen Stachel aus dem Fell gezogen hatte, wollte ich Tierärztin werden, aber davon sagte ich vorsichtshalber noch nichts. Und die Idee mit dem Pensionat fand ich auch nicht so gut.
    Im übrigen haben sich Omis gutgemeinten Pläne natürlich zerschlagen. Das ›Vermögen‹ bestand aus Aktien, die dazugehörige Zuckerfabrik lag in Schlesien, das LeunaWerk in der DDR, und so beschränkte sich das in Aussicht gestellte Studium später auf den Besuch einer privaten Handelsschule, den Omi dann aber tatsächlich finanzierte. Von meiner Aussteuer blieben lediglich die grünen Seidenbänder übrig, weil die sich damals nicht auch noch verkaufen ließen. In den Nachkriegsjahren war Brot wichtiger als Bettwäsche. Wie schön, daß weiße

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