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Pellkartoffeln und Popcorn

Pellkartoffeln und Popcorn

Titel: Pellkartoffeln und Popcorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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anberaumten Aussprache: Was soll aus dem Kind werden, beziehungsweise: Wo soll es hin? In Berlin konnte ich nicht bleiben, das hatten zwei Telefongespräche ergeben, die Mami schon mit irgendwelchen Behörden geführt hatte. »Auf keinen Fall Richtung Osten!« bestimmte sie, womit Opas Vorschlag, mich zu seinem Bruder ins Schlesische zu schicken, ad acta gelegt war.
    »Also doch nach Wolfenbüttel«, sagte Omi.
    »Da will ich aber nicht hin!« sagte ich.
    »Zu Tante Lotte könntest du sowieso nicht mehr, die hat das Haus voller Einquartierung. Du müßtest zu ihrer Tochter. Allerdings wohnt Tante Brunhilde in Wiltmar, das liegt sechs Kilometer außerhalb.«
    »Aber die kenne ich doch überhaupt nicht.«
    »Na und? Frau Wiemer hast du ja vorher auch nicht gekannt.« Opi Jäger schaltete sich ein: »Warum schicken wir sie nicht ihrer Schule hinterher? In welcher bist du denn eigentlich angemeldet?«
    »Weiß ich nicht. Ich bin doch in Goldap aufs Gymnasium gekommen.«
    »Es kommen nur zwei Schulen in Frage«, erklärte Omi sofort, denn sie hatte bereits bei meiner Einschulung entsprechende Erkundigungen eingezogen. »Entweder das Gymnasium in Zehlendorf-Mitte oder die Gertraudenschule in Dahlem. Ich würde das Kind aber nach Dahlem schicken, die Umgebung ist ansprechender.« Vornehmer, wollte sie vermutlich sagen, denn Dahlem galt als Berlins Renommierviertel, weil dort Schauspieler wohnten, Bankdirektoren, pensionierte Universitäts-Professoren und Außenminister Ribbentrop.
    »Wir fahren morgen früh mal rüber«, sagte Mami. Dann heulten die Sirenen und ich zog nach anderthalb Jahren zum erstenmal wieder in den Luftschutzkeller.
11
    Einem unerforschlichen Ratschluß zufolge haben die Fassaden der meisten Schulen grau oder senffarben zu sein. Die hier war ein Mittelding zwischen beidem und hätte der Inschrift über dem Portal gar nicht bedurft. ›Gertraudenschule‹ stand da, und etwas kleiner ›Staatl. Oberrealschule für Mädchen‹. In der Eingangshalle das Oberteil von Hitler in
    Bronze (später wurde es gegen einen Gipskopf von Lessing ausgewechselt). An der Wand ein Schild: Achtung Blutspender! Bitte in Zimmer 6 melden. Durch die Gänge liefen gewichtig aussehende Damen und Herren, deren Schulzeit allerdings schon einige Jahrzehnte zurücklag. Anscheinend hatte man in dem seit längerem verwaisten Gebäude alle möglichen Dienststellen untergebracht. Wir erkundigten uns nach dem Sekretariat.
    »Welches suchen Sie denn? Hier gibt es mehrere.«
    »Das Schulsekretariat.«
    »Keine Ahnung. Fragen Sie doch mal da hinten bei der Zuteilungsstelle.« Die Zuteilungsstelle teilte Briketts zu. Schulsekretariat? Nicht bekannt. »Vielleicht wissen die vom Luftschutz was. Erster Stock, Zimmer elf.«
    Die Luftschutzdame goß Kakteentöpfe. Es waren etwa hundert, und sie hatte noch nicht einmal die Hälfte davon bewässert. Schließlich war die Gießkanne leer, und die Dame geruhte, uns zu bemerken. Aber wenigstens erinnerte sie sich, irgendwo mal ein Schild gesehen zu haben, das das Vorhandensein eines Schulsekretariats immerhin wahrscheinlich machte. »Ich glaube, es war unten im Keller.«
    Also stiegen wir in den Keller. In einer Ecke entdeckten wir tatsächlich eine schmale Tür, an der mit zwei Heftzwecken ein karierter Zettel befestigt war: Schulkanzlei. Bei der Kanzlei schien es sich um eine ehemalige Besenkammer zu handeln, und die verhuschte graue Maus, die in dem fensterlosen Raum die ›Berliner Illustrierte‹ durchblätterte, sah uns überrascht an. Offenbar verirrten sich sonst keine Besucher in ihr Reich. Im übrigen wußte sie überhaupt nichts. Man habe sie vor drei Tagen hier hergesetzt, weil Fräulein Schneider plötzlich nicht mehr gekommen war, und eigentlich sei sie ja Kontoristin und als solche bei der Müllabfuhr tätig, die sei oben im zweiten Stock, da bliebe jetzt natürlich alles liegen, dabei wüßte sie gar nicht, was sie hier überhaupt solle, und die Schule sei ja sowieso evakuiert.
    »Aber
wohin?«
wollte Mami wissen.
    »Irgendwo in die Tschechei, aber wo, weiß ich nicht.« Immerhin war die Maus bereit, nach entsprechenden Hinweisen zu suchen. Mami bot ihre Hilfe an, die wurde dankbar akzeptiert, und gemeinsam wurden Karteikästen durchwühlt, Schränke durchstöbert, der Schreibtisch durchforscht. Nichts.
    »Können wir denn nicht mal irgendwo anrufen?« Wenigstens gab es in der Besenkammer ein Telefon.
    »Aber wo denn?« Die graue Maus schrumpfte immer mehr zusammen.
    »Es muß doch ein

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