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Pellkartoffeln und Popcorn

Pellkartoffeln und Popcorn

Titel: Pellkartoffeln und Popcorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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jetzt natürlich hohe Tiere von der Partei, in den anderen irgendwelche Dienststellen. Ein paar Ferienheime vom BDM sind auch da. Die gelbe Villa da drüben ist übrigens das Haus Heinfried.« Sie zeigte auf ein verschachteltes Haus mit kleinen Giebeltürmchen, verschnörkelten Fenstern und einer großen Veranda.
    »Das ist das Lager?« fragte ich völlig verdutzt.
    »Was hast du denn erwartet? Daß wir in Baracken leben?«
    »Naja, du hast doch vorhin etwas von einem alten Schuppen erzählt.«
    »Meine Güte, bist du naiv. Das war doch bloß so hingesagt. Und jetzt werden wir dich ordnungsgemäß abliefern.«
    Meine beiden Führerinnen erklommen selbstbewußt die breite Treppe und drückten energisch auf den Klingelknopf neben der geschnitzten Holztür. Nichts rührte sich. Nochmaliges Klingeln, akustisch untermalt von heftigen Schlägen gegen die Tür. Nichts. »Vielleicht sind sie gerade beim Essen?« überlegte eines der Mädchen und blickte auf seine Uhr, »mit der Zeit könnte es ungefähr hinkommen. Jetzt sollte man natürlich wissen, wo die essen.« Ich verstand überhaupt nichts mehr, aber das war mir allmählich auch egal.
    »Am besten wartest du hier vor der Tür, es wird schon jemand kommen. Wenn wir uns jetzt nicht beeilen, kriegen wir nämlich nichts mehr, weil wir zwischen halb eins und eins dran sind.« Diese Feststellung machte das geheimnisvolle Ritual nun auch nicht klarer; aber ich sah ein, daß ich wohl auf meinen endgültigen letzten Halt in dieser fremden Umgebung würde verzichten müssen. »Haut ab, ich komme schon zurecht«, beteuerte ich mit dem kläglichen Rest meines schwindenden Selbstbewußtseins, um dann außer Sichtweite der beiden Mädchen ausgiebig zu heulen. Ich kam mir so entsetzlich alleingelassen vor; niemand wollte mich haben! Wäre ich doch lieber zu Tante Lotte gefahren, was sollte ich denn machen, wenn sich überhaupt kein Mensch mehr blicken ließ…
    »Wer überschwemmt denn hier die ganze Treppe?« erkundigte sich eine belustigte Stimme, und jemand zog mich am Arm aus meiner zusammengekauerten Stellung hoch. »Suchst du jemanden?«
    »Ja, Doktor Berger.« So sollte der Direktor heißen, der die Gertraudenschule befehligte und in dieser Eigenschaft jetzt auch als Lagerleiter fungierte.
    »Den kenne ich zwar nicht, aber jetzt komm erst einmal mit rein.« Ich blinzelte verstohlen die sympathische junge Dame an, die mich in einen Büroraum führte und in einen Sessel setzte. »Nun beruhige dich, und dann erzähl einmal alles der Reihe nach.«
    Es dauerte ungefähr eine halbe Stunde, bis Fräulein Meyer alles Wissenswerte aus mir herausgebracht hatte, zumal sie sich einen Großteil der ganzen Geschichte selbst zusammenreimen mußte. Ich schluchzte immer noch zum Steinerweichen.
    »Da scheint aber einiges schiefgelaufen zu sein«, sagte sie, als sie mich wieder für aufnahmefähig hielt. »Du bist hier im KLV-Lager vom Goethe-Lyzeum gelandet. Wo die Gertraudenschule ist, weiß ich nicht, aber das läßt sich feststellen. Im übrigen sind wir ja beinahe Nachbarn, unsere Schule liegt in Schmargendorf.«
    Jetzt schlug die Glocke an, die vorher leise bei mir gebimmelt hatte. Richtig: Goethe-Lyzeum, Schmargendorf… dort war ja Mami zur Schule gegangen! Sie hatte oft genug davon erzählt, und vielleicht gab es sogar noch ein paar alte Lehrer, die sich an sie erinnerten. »Könnte ich denn nicht hierbleiben?« fragte ich zaghaft, denn ich hatte nicht die geringste Lust, schon wieder abgeschoben und ins Unbekannte geschickt zu werden.
    »Das kann ich nicht entscheiden«, erklärte Fräulein Meyer, »ich bin nur die Sekretärin, aber ich werde trotzdem sehen, was sich machen läßt. Platz hätten wir noch, aber das letzte Wort hat natürlich Frau Doktor Hagen.«
    Die kam eine Stunde später, zeigte sich etwas befremdet von dem unerwarteten Zugang und äußerte sich nicht gerade schmeichelhaft über die Bürokraten im allgemeinen und die des Berliner Schulamtes im besonderen. Schließlich fragte sie zögernd: »Werden deine Eltern denn nichts dagegen haben, wenn du eigenmächtig die Schule wechselst?«
    »Bestimmt nicht!« beteuerte ich sofort, »meine Mutter ist ja auch aufs Goethe-Lyzeum gegangen. Und wenn wir wieder in Berlin sind, kann ich bequem mit dem Bus nach Schmargendorf fahren.«
    »Aber was machen wir jetzt mit dir?« überlegte Frau Dr. Hagen weiter. »Die Mädchen kommen doch erst in drei Wochen zurück.«
    Ich hatte mich schon gewundert, weshalb es im ganzen Haus so still

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