Pellkartoffeln und Popcorn
NS-Frauenschaft. Bereits am ersten Abend schleppte sie Mami in den Keller, räumte eine Reihe gefüllter Einmachgläser zur Seite und zeigte ihr die dahinter verborgenen Schätze. Die bestanden aus einem Gewehr, zwei Pistolen, 86 Schuß Munition sowie zwei Panzerfäusten.
»Was willst du denn mit dem ganzen Kram?« wunderte sich Mami. »Buddel das Zeug lieber im nächsten Kartoffelacker ein, bevor die Amis es hier finden.«
»Eingraben? Liebe Reni, die Waffen liegen seit zwei Jahren hier, und sie werden hier liegenbleiben, bis wir sie brauchen!«
»Willst du damit noch den Krieg gewinnen?«
»Der Führer hat gesagt, daß Deutschland sich bis zum letzten Mann und bis zur letzten Patrone verteidigen soll, und ich gedenke, seinem Befehl zu folgen.«
»Du hast ja einen herrlichen Vogel!« erklärte meine Mutter und hielt das Thema für beendet.
Damit lag sie allerdings schief. In den folgenden Tagen entwickelte Tante Brunhilde sehr detaillierte Pläne, wie sie das etwas abseits stehende Schulhaus zu verbarrikadieren und dann zu verteidigen gedächte. Gefüllte Sandsäcke zum Abdichten der Fenster standen schon überall herum.
»Ich glaube beinahe, sie meint das wirklich ernst«, sagte Mami, als wir zusammen über die noch kahlen Felder spazierten, Hasso und Harro im Schlepptau, weil deren Mutter wieder einmal bei irgendeiner Versammlung flammende Reden hielt. »Anfangs habe ich noch gehofft, Brunhilde spinnt bloß ein bißchen, aber sie ist ja derartig fanatisch, daß mir die Sache langsam unheimlich wird. Weiß du was, wir fahren wieder nach Hause!«
Tante Brunhilde hatte nur ein mitleidiges Lächeln für uns übrig. »Du mußt ja wissen, was du tust, Reni, aber bevor ich mich freiwillig unseren Feinden ausliefere, schieße ich mir eine Kugel in den Kopf.«
»Genug Vorrat hast du ja«, entgegnete Mami lakonisch, und schnallte seelenruhig den Koffer zu. Aber daß Tante Brunhilde ihre Ankündigung wahrmachen und sich beim Einmarsch der Amerikaner tatsächlich erschießen würde, haben wir damals ehrlich nicht im entferntesten geglaubt.
»Womöglich hätte sie euch auch noch umgebracht!« entsetzte sich Omi, nachdem Tante Lotte ihr Monate später die ganze Tragödie mitgeteilt hatte. Zunächst war sie aber gar nicht begeistert, als wir unverhofft wieder vor der Tür standen. »Ich verstehe euch nicht. Wer noch kann, der versucht, aus Berlin rauszukommen, und ihr lauft den Russen regelrecht in die Arme.«
»Bevor ich mich so einer wildgewordenen NaziAmazone ausliefere, warte ich lieber hier auf das glorreiche Ende«, erklärte Mami kategorisch, und Tante Else pflichtete ihr bei. »Die Russen werden schon nicht die ganze Bevölkerung ausrotten. Ein paar Leute brauchen sie ja noch, die die Trümmer wieder wegräumen.«
Von nun an saßen wir mehr im Keller als in der Wohnung, denn wenn die Alliierten keine Angriffe flogen, kamen russische Maschinen, obwohl die Sowjets doch angeblich gar keine haben sollten. Richtig zielen konnten sie auch nicht, denn jetzt fielen sogar bei uns ein paar Bomben. Im Hochsitzweg kam eine Luftmine herunter, worauf bei uns auch noch die letzten Fensterscheiben zu Bruch gingen. Im Eschershauser Weg brannte es, und Zehlendorf-Mitte bekam ebenfalls einen gehörigen Teil ab. Omi brachte ihr Kristall in den Keller. Unsere männlichen Familienmitglieder waren seit kurzem arbeitslos und nun ständig zu Hause. Onkel Paul hatte man beurlaubt, weil es bei der Reichsbahn nichts mehr gab, was zu verwalten gewesen wäre; und Opi war eines Tages zu ungewohnt früher Stunde heimgekommen, weil er statt seines Büros nur noch einen Schutthaufen vorgefunden hatte. Die Zentrale der Staatlichen Klassenlotterie hatte einen Volltreffer bekommen! Dafür durften sich die beiden doch schon etwas älteren Herren nachmittags dem Volkssturm zur Verfügung stellen, um in Düppel Panzersperren zu bauen.
16
»Rate mal, wer vorhin angerufen hat«, begrüßte mich Mami, als ich mit einem halben Liter entrahmter Frischmilch – Wochenration für Kinder von 10 bis 15 Jahren – aus der Ladenstraße zurückkam. »Aber du kommst ja doch nicht drauf. Tante Elfi!«
»Nanu? Seit wann ist die denn in Berlin?«
»Seit vorgestern, und zwar sitzt sie mutterseelenallein in einer Villa auf Schwanenwerder. Wie sie da hingekommen ist, habe ich am Telefon nicht ganz begriffen, aber ich fahre nachher mal rüber.«
Tante Elfi war die einzige von Mamis Freundinnen, die ich wirklich mochte. Sie war gebürtige Wienerin und eine typische
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